In Nenndorf werden seit einem halben Jahr Haupt- und Realschüler erfolgreich gemeinsam unterrichtet. Den Schülern wird Druck genommen.

Nenndorf. Maxi bringt es auf den Punkt. "Wir halten zusammen", sagt der Zehnjährige aus der 5a. Keiner werde ausgelacht, jeder gehe gerne zum Unterricht. Wer von ihnen eine Empfehlung für die Hauptschule hatte und wer zur Realschule hätte gehen können, sei überhaupt kein Thema in seiner Klasse. Sie alle sind einfach nur Schüler des fünften Jahrgangs der Oberschule Nenndorf. Fertig.

Im August dieses Jahres ist die Einrichtung als eine der ersten im Landkreis Harburg gestartet, weitere Oberschulen gibt es in Marschacht und Hollenstedt. Die alte Unterteilung zwischen Haupt- und Realschule ist in dem Ort der Gemeinde Rosengarten seitdem Geschichte. Zwei fünfte Klassen mit jeweils 24 und 25 Mädchen und Jungen werden nach dem neuen Schulmodell unterrichtet, nicht getrennt nach Leistungsgruppen, sondern alle gemeinsam in allen Fächern, inklusive der Hauptfächer. Für Eltern und Schüler sei das ein echter Erfolg, sagt Schulleiterin Astrid Dageförde. Es gebe keine Schubladen mehr, sondern es gehe nur noch ums Lernen. "Die Angst vor dem Scheitern ist weg."

Dass diese Angst da war, hat die Schulleiterin in der Vor-Oberschul-Zeit häufig erlebt. Sie habe sich schon alleine daran gezeigt, dass viele Kinder mit Hauptschulempfehlung von ihren Eltern dennoch auf die Realschule geschickt wurden und Kinder mit Realschulempfehlung auf das Gymnasium. Zumindest ersteres wird bei den Oberschulen nicht mehr nötig sein. Die von vielen als Restschule bezeichnete und darum gemiedene Hauptschule gibt es nicht mehr - in Nenndorf im Grunde genommen sogar bereits seit dem vergangenen Schuljahr. Weil es nicht genügend Anmeldungen für die Hauptschule gab, mussten die Klassen gemischt werden. Nur Deutsch, Mathe und Englisch waren davon ausgenommen. Damit hat Nenndorf bereits ein Jahr zuvor inoffiziell die Oberschulära eingeläutet.

Dennoch betont Astrid Dageförde: "Nur weil die Hauptschule weg ist, heißt das ja nicht, dass es keine lernschwachen Schüler mehr gibt." In den Grundschulen gebe es nach wie vor Empfehlungen für Haupt- und Realschule und Gymnasium.

Aufgabe der neuen integrierenden Schulformen wie Oberschule und Gesamtschule sei es nun, Systeme zu entwickeln, mit deren Hilfe man die Leistung eines jeden Schülers genau beobachten und ihn entsprechend fördern kann. "Innere Differenzierung" heißt das Zauberwort.

Unter anderem mit den speziellen Abstufungen bei Klassenarbeiten in den Hauptfächern Mathe, Deutsch und Englisch ist das an der Oberschule Nenndorf Realität geworden. Auf den sogenannten G-Teil, der aus Aufgaben mit einem grundlegenden Anforderungsniveau besteht, baut der E-Teil mit einem erhöhten Anforderungsniveau auf. Kinder, die den E-Teil nicht bearbeitet haben, werden dann nur im G-Teil benotet. Ziel ist einerseits, die leistungsschwächeren Kinder nicht dauerhaft mit schlechten Noten zu demotivieren und andererseits das höhere Niveau der leistungsstärkeren anzuerkennen und zu fördern. "Wir arbeiten eng mit der Oberschule in Hollenstedt zusammen und tauschen uns auch mit anderen Einrichtungen zum Beispiel im Landkreis Stade aus", sagt Astrid Dageförde. Doch nicht nur die Kooperation mit anderen Schulen ist seit der Oberschule intensiver geworden, auch im Nenndorfer Kollegium ist man zusammengerückt. "Es gibt jetzt regelmäßig Teamsitzungen aller Lehrer einer Klasse", sagt Thomas Schmidt, Klassenlehrer der 5a. Das habe es zuvor nicht gegeben. Bei diesen Sitzungen informieren sich die Lehrer gegenseitig über die Schüler, sprechen über ihre Leistungen oder Auffälligkeiten. "So sind wir viel dichter dran und können die Kinder viel individueller erfassen."

Zehn Kinder in seiner Klasse hätten eine Haupt- und 14 eine Realschulempfehlung gehabt, sagt Schmidt. Erwähnt werde das untereinander aber nie, er mache ihnen immer deutlich: Ihr alle seid jetzt Oberschule. Dementsprechend überrascht sind auch Nils, Maxi, Celine und Jessica, als sie über ihre Empfehlungen sprechen und erfahren, wer welche hatte. "Da haben wir noch nie drüber geredet", sagt Nils. Ein ähnliches Bild in der 5b, wo Lukas, Lucy, Peter und Jonathan in ihrer Vierergruppe so wie die 5a gerade an dem Projekt über Planeten arbeiten. "Vielleicht fallen manchmal Unterschiede auf, aber das ist ganz selten", sagt Lukas und wendet sich wieder dem Pluto zu.

Die wöchentliche Projektarbeit von 14 bis 15.15 Uhr ist ebenfalls ein Teil des neuen Oberschulkonzepts, das die Schüler darin fördern soll, selbstständig zu arbeiten. Sogar am Nachmittag seien die Schüler noch fit und mit Spaß bei der Sache, sagt Schmidt. Und dass für solche Dinge überhaupt Zeit ist, sei ein wichtiger Bestandteil der Schule, fügt Astrid Dageförde hinzu.

"Wer für sein Kind den entschleunigten Weg wählen will, ist an der Oberschule genau richtig", findet sie. Nach Abschluss der zehnten Klasse stünden den Nenndorfern alle Türen offen, auch das Abitur sei ohne Probleme möglich, obwohl die Oberschule keinen gymnasialen Zweig hat. Die Schüler könnten zu beruflichen oder klassischen Gymnasien wechseln und dort innerhalb von drei Jahren die allgemeine Hochschulreife erlangen - an beruflichen Gymnasien von Klasse elf bis 13, an klassischen Gymnasien nach der Wiederholung der zehnten Klasse von der elften bis zur zwölften Klasse. In allen Fällen bedeutet das: Die Kinder haben 13 Jahre bis zum Abitur und müssen nicht das mitunter umstrittene Turbo-Abi nach zwölf Jahren schaffen.