Interview mit Bildungs- und Erziehungswissenschaftler Prof. Thomas Trautmann von der Universität Hamburg, zu den Auswahlkriterien der geeigneten Grundschule

Harburg. Am Montag hat in Hamburg die Anmeldefrist für Schüler begonnen, die ab August zur Grundschule gehen sollen. Für insgesamt 1391 Kinder in den südlichen Hamburger Stadteilen läuft diese Frist bis zum 3. Februar. In Harburg und Umgebung bieten sich diverse Möglichkeiten und Alternativen zur Auswahl einer Grundschule. Viele Eltern stehen vor einer großen Herausforderung, denn seit der gescheiterten Schulreform ist die richtige Wahl einer Schule nicht einfacher geworden.

Die Regionalausgabe Harburg bietet in dieser Woche in vier Folgen eine Hilfestellung bei der Orientierung. Von heute bis Freitag finden Sie die wesentlichen Angebote der Harburger Grundschulen zum Vergleich. Dazu beleuchten wir spezielle Aspekte wie die Begabtenförderung, in eigenen Artikeln.

Unsere Serie beginnt heute mit einem Interview zu den wichtigsten Faktoren der Grundschulwahl. Als Gesprächspartner stand uns dabei der Bildungs- und Erziehungswissenschaftler Prof. Thomas Trautmann von der Universität Hamburg Rede und Antwort.

Hamburger Abendblatt:

Herr Professor Trautmann, welches ist das ausschlaggebende Kriterium für die Wahl einer Grundschule?

Prof. Thomas Trautmann:

Früher hat man gesagt: "Kurze Beine - kurze Wege." Das sollte heute aber, insbesondere in Großstädten, nicht mehr das wichtigste Kriterium sein. Dringlicher ist, dass Eltern auf die Fähigkeiten und Begabungen ihrer Kinder achten und die Schule danach auswählen.

Wie können solche Begabungen erkannt werden?

Prof. Trautmann:

Eltern sehen ja bereits vor der Einschulung, mein Kind spielt gerne draußen und stellt Versuche am Bach an oder ähnliches. Das spricht doch für ein gewisses naturwissenschaftliches Interesse. Oder ein Kind ist musisch begabt, übt freiwillig und gerne Blockflöte oder Klavier. Denken Sie auch an Sprachbegabung, zum Beispiel den Italien Urlaub wo das Kind dem Papa mit den Vokabeln hilft, weil es diese viel schneller aufgeschnappt hat.

Neben der Förderung von Begabungen, welche weitere Angebote an Grundschulen sollten bedacht werden?

Prof. Trautmann:

Immer mehr Schulen bieten Ganztagesbetreuung an. Eltern sollten nachfragen, ob diese über die reine Aufsicht hinaus geht und den Kindern spezielle Angebote am Nachmittag gemacht werden. Die Größe der Klassen ist ein ganz wichtiger Faktor für die Aufmerksamkeit, und die Betreuungszeit für jeden einzelnen Schüler.

Man sagt oft, alles über 24 Kinder pro Klasse ist anstrengend für Lehrer und Schüler. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Ausstattung der Schule. Moderne Gebäude, kindgerechtes Mobiliar oder Klassenräume, die technisch gut ausgerüstet sind tragen enorm zur Motivation der Kinder und auch der Lehrer bei.

Seit 2010 gibt es in Hamburg die Möglichkeit zwischen vier und sechs jährigen Grundschulen zu wählen. Warum dieser Kompromiss und wem soll er helfen?

Prof. Trautmann:

Das ist eine Folge der gescheiterten Schulreform. Viele Eltern haben Angst davor, dass ihr Kind während der zwei weiteren Jahre in der Grundschule von lernschwächeren aufgehalten wird. Schule kann aber auch ein Ort sein, an dem soziale Kompetenzen erlernt werden.

Hilfsbereitschaft und Empathie zum Beispiel sind grundlegende Werte in unserer Gesellschaft. Erfährt ein Kind diese Zuwendung, wird es sich dafür erkenntlich zeigen und auch das ist eine wichtige Erfahrung für beide Seiten.

Wenn ein Kind erst nach der 6. Klasse auf ein Gymnasium kommt, haben ihm seine Klassenkameraden bereits zwei Jahre auf einem höheren Lernniveau voraus. Hat dieses Kind überhaupt eine Chance in der Klasse mitzuhalten?

Prof. Trautmann:

Hier sind Eltern, Schule und Kind gleichermaßen gefordert. Die Eltern müssen sich zu diesem Zeitpunkt erneut informieren. Sie müssen zu den Gymnasien gehen und nachfragen, wie mit den Neuankömmlingen umgegangen wird.

Die Schule ihrerseits sollte dann ein Konzept vorweisen können. Und das Kind muss natürlich auf dem höheren Niveau arbeiten wollen. Das muss es aber auch, oder erst recht, wenn es bereits nach der 4. Klasse umgeschult wird.

An einigen Grundschulen in Harburg werden bestimmte Fächer jahrgangsübergreifend unterrichtet. Welches Ziel wird damit verfolgt?

Prof. Trautmann:

Hier steht das gemeinsame Lernen im Vordergrund. Kinder, die schnell lernen, können sich an den Aufgaben der älteren orientieren. Diese übernehmen gleichzeitig eine Vorbildrolle für die Kleineren und sind gefordert deren Fragen zu beantworten. Gerade Kinder wollen ja auch Sachen wissen, die nicht unbedingt im Lehrplan stehen. Ob dieses Modell erfolgreich ist, lässt sich wissenschaftlich allerdings nur schwer nachweisen.

In manchen Stadteilen gibt es einen vergleichsweise hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund. Kann das Einfluss auf den Lernprozess der anderen Kinder haben?

Prof. Trautmann:

Es gibt meines Wissens keine Studien, die in solchen Fällen eine signifikante Verschlechterung der schulischen Leistung bei deutschstämmigen Kindern belegen. Heterogenität in den Klassen sollte als Chance verstanden werden und keinesfalls als Gefahr.

Auch die Inklusion, also das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung erweist sich als förderlich - nicht nur für soziale Kompetenzen. Seit dem Jahr 2009 haben übrigens auch Kinder mit Handicap ein verbrieftes Recht auf den Platz in einer regulären Klasse, ein Zeichen für mich, dass die Politik das ähnlich sieht.