In Oldendorf leitet der Meeresbiologe Otto Kinne einen Wissenschaftsverlag

Oldendorf. Oldendorf in der Samtgemeinde Amelinghausen weiß kräftig für sich zu werben. Der Heideort ist bekannt für seinen urigen Faslam, das rasante Stoppelfeldrennen mit umgebauten Fahrzeugen sowie für die Totenstatt, deren urgeschichtliche Grabhügel Bürger und Gäste von nah und fern anziehen. Was indes die wenigsten Besucher der kleinen Gemeinde wissen: Oldendorf ist Sitz eines auf seinem Gebiet führenden Wissenschaftsverlags: Inter-Research. Dahinter steht der Meeresbiologe Otto Kinne. Der Professor war bis 1984 Leiter der Biologischen Anstalt in Helgoland (BAH). Danach gründete der weltweit anerkannte Meeresbiologe ein internationales Zentrum für Forschung und wissenschaftliche Veröffentlichungen in Oldendorf sowie ein internationales ökologisches Institut, deren Direktor er seither ist.

"Marine Ecology ist unsere bekannteste Zeitschrift. Es ist bis heute das umfassendste Werk über das Leben im Ozean und den Küstengewässern. Band 446 ist in Vorbereitung", sagt der alte Herr und legt stolz die Hand auf einen Band, der auf seinem Schreibtisch liegt. Damit ist er zum Vorreiter in der biologischen und ökologischen Meereskunde geworden. Der Verlag publiziert insgesamt acht weltweit anerkannte Zeitschriften. Daneben entstehen jährlich 24 weitere Veröffentlichungen aus den Bereichen Meeresbiologie und Ökologie. Versand werden sie in 70 Länder.

"Die eingereichten Manuskripte beurteilen internationale Wissenschaftler, bevor sie im Verlag veröffentlicht werden", sagt Angela Fromm. Sie ist engste Mitarbeiterin des Professors. Der 88-Jährige ist fast taub. Wenn nicht Otto Kinnes Frau Helga im Büro dabei ist, dann Angela Fromm. Fragen und Anliegen notiert sie auf Zetteln und schiebt diese dem Wissenschaftler über die braun glänzende Schreibtischplatte.

Es ist ein riesiger, übersichtlich geordneter Schreibtisch, hinter den sich der erfahrene Forscher vornehmlich vormittags zurückzieht. Der Tisch steht in einem Arbeitszimmer von der Größe eines kleinen Tanzsaals. "Ich bin ein Typ, der ohne Arbeit nicht kann", sagt Kinne und zeigt ein verschmitztes Lächeln. Einzigartig der Ausblick durch die meterlange Fensterfront auf ein schwimmbadgroßes Außenaquarium, in dem farbenprächtige Kois ihre Bahnen ziehen. Die imposanten Farbkarpfen ziehen jeden Besucher in ihren Bann und verwandeln das Arbeitszimmer in eine Unterwasserstation.

Angela Fromm erzählt: "Unsere Zeitschriften genießen weltweit hohe Anerkennung. Jedes Manuskript, das bei uns eingeht, wird intensiv geprüft und von mindestens drei bis vier internationalen Wissenschaftlern begutachtet. Sie alle arbeiten ehrenamtlich." Gedruckt werden die Werke in einer Lüneburger Druckerei. Übrigens hat sich der Senior nicht nur wissenschaftlich verewigt, sondern sich auch als Buchautor einen Namen gemacht. In "Suche im Park" ringt er um ein neues Weltverständnis. Vernichtend fällt das Urteil des Wissenschaftlers über die Spezies Mensch aus: "Der Mensch macht alles kaputt. Er ist das gefährlichste Wesen auf dem Planeten Erde."

Geboren wurde Otto Kinne 1923 in Bremerhaven. Der spätere Professor studierte in Tübingen und Kiel und habilitierte 1958 im Fach Zoologie. Es zog ihn in die USA und Kanada, dann folgte Kinne dem Ruf auf Deutschlands einzige Hochseeinsel - und wurde Direktor der Biologischen Anstalt Helgoland.

So begann eine Laufbahn mit vielfältigen Funktionen als Wissenschaftler, Organisator und Herausgeber. Für Wissenschaftler bietet die Insel mehr als den Hauch von Meer. Das Felsenwatt und die 35 Quadratkilometer große unterseeische Felsenlandschaft beherbergen die reichste Tier- und Pflanzenwelt der deutschen Küste. Kinne machte die BAH zu einem der wichtigsten meeresbiologischen Forschungsinstitute der Welt. So betont es die Deutsche Zoologische Gesellschaft, die ihm 1984 als Wissenschaftspreis die Karl-Ritter-von-Frisch-Medaille verlieh.

Der Verlag zählt heute 30 Mitarbeiter. Er erstreckt sich über fünf Häuser in einem Oldendorfer Wohnviertel. Darunter auch das Wohnhaus des Professors und seiner Frau. Besonders am Herzen liegt ihm die Otto-Kinne-Foundation, die Stipendien vorzugsweise an junge Wissenschaftler in Osteuropa vergibt. Daneben züchtet er seit Jahren die Rotbauchunke, auch Feuerkröte genannt. "Sie ist vier Millionen Jahre alt und die Vorgängerin aller Wirbeltiere."