Eine Glosse von Harry Grunwald

Auf dem Zahnarztstuhl gibt es keine Helden. "Ich habe hier noch keinen erlebt", sagt mein Zahnarzt. Wenn der Mann im weißen Kittel zum Bohrer greift, wird selbst der kraftstrotzende Hüne zum jämmerlichen Häufchen Elend. Autogenes Training soll ja helfen ("mein Atem fließt ruhig, mein Kiefer ist ganz locker"), man kann es auch mit Selbst-Hypnose versuchen ("ich habe keine Angst"). Doch wenn der Bohrer zu summen beginnt, gehen alle guten Rezepte den Bach hinunter, bei mir jedenfalls.

Gestern früh war es wieder so weit. Nachts um drei mit Zahnschmerzen aufgewacht, den Rest der Nacht mit Schmerztabletten mühsam überstanden, gleich um 8 Uhr Anruf in der Zahnarztpraxis. "Wir können Sie noch dazwischen schieben", sagt die freundliche Dame am Telefon, "kommen Sie gern gleich vorbei". Gern? Ganz bestimmt nicht.

Ich komme auch sofort dran, also kein Warm-Zittern im Wartezimmer. Der Doktor begrüßt mich mit ausgesuchter Freundlichkeit, vielleicht will er sich im Voraus dafür entschuldigen, dass er mich gleich höllisch piesacken wird. Am liebsten würde ich die schmerzenden Zähne jetzt zusammenbeißen und den Mund eisern geschlossen halten. Doch ich habe keinen Kleinkind-Bonus mehr und will mich hier nicht lächerlich machen. Also lasse ich den Zahnarzt hineinschauen. "Nichts Schlimmes, das Zahnfleisch ist etwas entzündet", sagt er und spritzt mir ein Medikament hinein. Ich wische mir den kalten Schweiß von der Stirn und verlasse - leicht schlotternd - die Praxis. Nein, schlimm war es nicht, aber ein Held werde ich auch nicht mehr.