Die meisten Harburger trauen Christian Wulff nicht mehr und fordern seinen Rücktritt. Er sei dem Amt nicht mehr gewachsen.

Harburg. Bundespräsident Christian Wulff, 51 (CDU), sollte seinen Hut nehmen und gehen: So lautete am Donnerstag die einhellige Meinung vieler Harburgerinnen und Harburger - einen Tag nach dem Fernsehinterview des Bundespräsidenten in ARD und ZDF. Der Tenor: Christian Wulff habe sich in dem Gespräch mit Ulrich Deppendorf und Bettina Schausten als Opfer dargestellt und die Mitleidsschiene bedient. Er habe nichts fundamental Neues und Aufklärendes zu seinem Privatkredit, zu seinen Urlauben bei befreundeten Unternehmern und zu seinem Drohanruf bei BILD-Chef Kai Diekmann gesagt.

Soll der Bundespräsident gehen oder bleiben? Der Harburger Lars Kleinert, 51, zückte auf diese Frage nur sein iPhone und las schmunzelnd einen Satz des Publizisten Henryk M. Broder vor: "Nichts ist unmöglich. In einem Land, in dem die SPD sich mit einem 92-Jährigen verjüngt, der in einem Rollstuhl auf die Bühne geschoben werden muss; in dem ein Sänger, der in gebrochenem Deutsch gegen Frauen und Schwule hetzt und der Gewalt huldigt, einen 'Integrationspreis' bekommt; in dem ein Gericht zugunsten des Juchtenkäfers ein großes Bauvorhaben vorübergehend anhalten kann. In einem solchen Land muss man mit allem rechnen, auch damit, dass Christian Wulff Bundespräsident bleibt."

Im Kiosk Tabak & Konsorten am Harburger Ring war Christian Wulff am Donnerstag das Gesprächsthema Nummer eins. "So viel Heuchelei habe ich schon lange nicht mehr gesehen", sagte der Harburger Sascha Warfsmann, 28. "Reue hat der Bundespräsident nicht gezeigt. Er hat versucht, sich aus der Geschichte herauszureden. Das war nur Schönrederei und Ablenkung. Wulff sollte umgehend zurücktreten, er hat überhaupt kein Rückgrat und klebt an seinem Stuhl. So jemand ist als Bundespräsident nicht tragbar für das Land. Das Schlimmste ist, dass er meint, das Amt des Bundespräsidenten sei ein Lehrberuf."

Harte Worte kamen auch von Sabine Wieghorst, 52, von Tabak & Konsorten: "Ich finde es unmöglich, was Herr Wulff gesagt hat. Ich habe nach einer Viertelstunde ausgeschaltet, weil ich sein Geseier nicht mehr hören konnte. Er wirkte kein bisschen zerknirscht und hatte so ein dämliches Lächeln auf den Lippen. Wulff hat sich als Gutmenschen hingestellt und sich nicht konkret zu den Vorwürfen geäußert. Es ist schlimm, dass seine Einlassungen so häppchenweise kommen. Wer weiß, was alles noch herauskommt - ich traue dem Mann nicht mehr. Diesen Makel kriegt er nie wieder ausgewetzt."

Julia Wollmer, 29, stören vor allem "die Kreditgeschichte" und der Anruf beim BILD-Chefredakteur: "Ein Mann in Wulffs Position sollte keine Kredite zu günstigen Konditionen bei Freunden nehmen. Dass er Kai Diekmann auf die Mailbox spricht, zeigt, dass dieser Mensch keine Courage hat und nicht persönlich mit den Leuten spricht. Der Bundespräsident ist einfach zu feige, sich offen mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen und zu sagen: 'Das war ein Fehler von mir - es tut mir leid!' Wenn man in so einer Position steht, darf man sich solche Fehler nicht erlauben, sondern muss mit offenen Karten spielen. Die Wahrheit kommt ja sowieso fast immer ans Tageslicht."

Auch der Musiklehrer Dietrich Husemann, 49, von der Stadtteilschule Süderelbe hält Wulff als Bundespräsident für nicht akzeptabel: "Er ist dem Amt nicht gewachsen. Schon Angela Merkels Idee, ihn zum höchsten Repräsentanten des Staates zu machen, war parteipolitisch und nicht fachlich motiviert - das darf nicht sein. Jetzt müssen wir diesen Mann noch ein paar Jahre ertragen."

Ein Privatkredit als Ministerpräsident Niedersachsens aufzunehmen gehe gar nicht, so Lehrer Dietrich Husemann, genauso wenig wie ein Drohanruf auf der Mailbox eines Chefredakteurs - "das ist niveaulos!". Dietrich Husemann war 2011 mit seinem Chor auf dem Sommerfest des Bundespräsidenten zu Gast. Er habe sich dabei über eine große Tafel mit Sponsoren gewundert, die das Fest bezahlt hatten. "Wie will man da als Bundespräsident noch unabhängig sein?", fragt der Musiklehrer. Sein Fazit: "Es ist für uns alle besser, wenn Herr Wulff zurücktritt!"

Das sah allein Kioskkunde Hartmut Meyer, 65, aus Stelle gestern anders: "Der Bundespräsident sollte auf keinen Fall zurücktreten", sagte der Diplom-Ingenieur. "Das ist ein Mensch wie jeder andere. Er hat nur einen günstigen Kredit aufgenommen, das würde jeder andere genauso machen. Ich kann nicht verstehen, warum die Medien jetzt wie die Geier hinter ihm her sind."

Dieser Ansicht widersprach Hans Pfeil, 64, aus Harburg: "Wenn andere so etwas machen wie der Wulff, dann sind sie weg vom Fenster. Dieser Schönling muss sofort weg aus Schloss Bellevue. Ich als Schlosser kriege ja auch keinen Kredit zu besseren Konditionen. Das schlimmste ist, dass der Mann saniert wäre, wenn er ginge: 199 000 Euro jährlich bis zum Lebensende plus Büro mit Sekretariat, persönlichem Referenten und einem Fahrer - da kann der kleine Mann nur von träumen."