In unserer Serie “Leben am Fluss“ im Winter stellen wir heute Kreuzfahrtkapitän Jan Rautawaara vor

Wischhafen. Jan Rautawaara sieht aus, als wäre er Dauergast im Sonnenstudio, doch der Eindruck täuscht. Während draußen Regen das Kehdinger Land in eine ungemütliche Winterlandschaft verwandelt, steht der finnische Kapitän beneidenswert braungebrannt auf der "Unterelbe", seinem Küstenmotorschiff - kurz "Kümo" -, im Hafen von Wischhafen auf der Brücke.

Ursache für den gesunden Teint war kein Solarium, sondern echte karibische Sonne: Rautawaara ist gerade zurückgekehrt von seinem Arbeitsplatz in der Inselwelt der Karibik. Antigua, die Dominikanische Republik, Helsinki, Wischhafen - das waren die Stationen seiner Reise in seine zweite Heimat in Kehdingen. Als Staff Captain, also als Stellvertreter des Kapitäns und zweiter Mann an Bord, ist der 41 Jahre alte Finne auf dem Kreuzfahrtschiff "Mein Schiff 2" im Dienst.

Rund 1900 Passagiere können auf dem 262 Meter langen Schiff, das im Mai 2011 seine Jungfernfahrt unternahm, mit höchstem Komfort durch die karibische Inselwelt reisen, die Reederei TUI Cruises spricht von einem "Wohlfühlschiff". Doch Jan Rautawaara hat sein eigenes Wohlfühlschiff - es ist allerdings mit 46,70 Meter Länge viel kleiner, mit acht Knoten Reisegeschwindigkeit viel langsamer und mit stolzen 72 Jahren auch viel älter. Doch dafür ist es ein in Erfüllung gegangener Traum.

Das 1939 in Dienst gestellte Frachtschiff hat eine wechselvolle Geschichte mit vielen Besitzern hinter sich. An der Elbe, genauer auf der Schiffswerft W. Holst in Hamburg-Neuenfelde, wurde das Kümo gebaut und auf den Namen "Danzig" getauft. 22 Jahre lang war das Schiff in Kehdingen beheimatet - es gehörte zunächst von 1958 bis 1963 einem Kapitän aus Wischhafen, der es auf den Namen "Unterelbe" umtaufte, und anschließend bis 1980 einem Eigner aus Drochtersen.

1988 ging das Kümo nach Finnland. Unter dem Namen "Ramona" diente es zum Transport von Sand in die Hauptstadt Helsinki. Hier kreuzten sich zum ersten Mal die Wege der ehemaligen "Unterelbe" und ihres späteren Besitzers: Jan Rautawaara, der schon mit zehn Jahren den Wunsch hatte, später mal ein Kümo zu besitzen, fuhr 1988 als Decksmann auf der "Ramona". Elf Jahre später, 1999, kaufte er das Schiff, gab ihm den alten Namen zurück und richtete sich häuslich darauf ein.

Andere haben alte Autos, Motorräder oder Trecker als Hobby, für Jan Rautawaara durfte es ein paar Nummern größer sein. Der Zustand des Kümos beim Kauf war traurig - "eine Katastrophe ohne Ende". Gemeinsam mit Freunden hat er das Schiff sieben Jahre lang in seiner Freizeit "von Grund auf" restauriert.

Vieles wurde neu gemacht - die elektrische Anlage, die Heizung und die Innenausstattung mit elegant eingerichteter Kapitänskajüte, Bierzapfanlage in der Pantry und eigener Sauna: "Die gehört bei einem finnischen Schiff dazu." Rückblickend sagt Rautawaara: "Das macht man nur einmal im Leben." Doch die Arbeiten sind nicht beendet. "Das ist wie bei einem alten Haus, irgendwas ist immer zu tun." Und wenn gerade nichts zu schrauben ist, sammelt Käpt'n Jan Fotos von Kümos und anderen Schiffen - oder er macht Musik.

Im vergangenen Jahr sah die "Unterelbe" dann zum ersten Mal nach Jahrzehnten ihren alten Heimathafen wieder: Zum Hafenfest im August 2010 schipperte Rautawaara nach Wischhafen, er wollte an dem Treffen von Kümo-Fans aus dem In- und Ausland teilnehmen, doch eine Verkettung unliebsamer Überraschungen sorgte für eine mehrtägige Verspätung. Erst musste vor der Abreise in Finnland eine Kühlwasserleitung repariert werden, dann zwangen kräftige Stürme auf der Ostsee Käpt'n Rautawaara zur Unterbrechung der Reise. Zweimal musste die "Unterelbe" zum Schutz vor dem Sturm in schwedische Häfen einlaufen. Schließlich sorgte auch noch eine Ruderregatta auf dem Nord-Ostsee-Kanal für eine weitere Pause in Rendsburg. So erreichte Rautawaara erst mit einer Woche Verspätung Kehdingen. Das Hafenfest war da längst vorbei, die Gäste waren abgereist, doch Wischhafen hieß den finnischen Kapitän und sein seetüchtiges Oldtimerschiff dennoch herzlich willkommen. Seither liegt die "Unterelbe" wieder in ihrem alten Heimathafen, und der finnische Kapitän verbringt regelmäßig seinen Urlaub an Bord. Für einen Kümo-Fan wie Jan Rautawaara ist Wischhafen ohnehin ein idealer Ort: "Die Leute hier sind sehr an alten Schiffen interessiert."

Im Hafen liegt mit der 1956 gebauten "Iris-Jörg" dauerhaft ein weiteres Kümo, das von ehrenamtlichen Helfern mit viel Engagement in Schuss gehalten wird. Gleich nebenan ist im alten Getreidespeicher direkt am Hafen das Kehdinger Küstenschifffahrts-Museum zu Hause. Hier widmet sich ein Verein aus Freunden maritimer Tradition unter anderem alten Kümos. Ein Funkraum, eine Schiffsmaschine und eine Kümo-Brücke sind zu sehen. Die Geschichte der Küstenschifffahrt, die für Kehdingen einst von großer Bedeutung und ein wichtiger Wirtschaftszweig war, ist im Museum sorgfältig dokumentiert. Bauweise und technische Entwicklung der Schiffe werden detailliert dargestellt, auch das Leben an Bord ist den Museumsmachern eine anschauliche Präsentation wert.

Das Ensemble aus Speicher, Kümo "Iris-Jörg" und dem alten Gemeindehafen steht unter Denkmalschutz und bildet nach Angaben des Museums "das Zentrum der historischen Küstenschifffahrt in Deutschland". Zurzeit ist das Kehdinger Küstenschifffahrts-Museum allerdings geschlossen, die neue Saison beginnt Ostern 2012.

Jan Rautawaara will die "Unterelbe" nicht auf eine museale Rolle reduzieren. Vielmehr steht das robuste alte Schiff, das schon manchen Sturm überstanden hat, vor einer ganz neuen Karriere. Rautawaara will sein Kümo nicht nur als schwimmendes Wohnhaus nutzen, er möchte künftig auch Geld damit verdienen. "Alles funktioniert bestens, ich kann die Maschine starten und sofort losfahren."

Eine erste Frachtfahrt haben Rautawaara und sein Schiff schon hinter sich - er brachte eine Ladung Getreide von Hamburg nach Bremen. Viele Schaulustige beobachteten den inzwischen selten gewordenen Anblick eines alten Kümos auf der Elbe. Weitere Aufträge dieser Art wären Rautawaara willkommen, er möchte damit die laufenden Kosten decken, die das Schiff verursacht.

Auch als Ausstellungsschiff möchte er die "Unterelbe" in Zukunft gern einsetzen. Der Frachtraum bietet genügend Raum für Exponate, die in Häfen präsentiert werden können. Wenn alles klappt, soll der erste Auftritt der "Unterelbe" als Ausstellungsschiff beim Hafengeburtstag in Hamburg sein. Aber das sind Projekte für weitere Urlaube. Denn auf Jan Rautawaara wartet schon sein Kreuzfahrtschiff in der Karibik.

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