Jury des Bundesverbandes der Gartenfreunde begutachtet Anlage an der Francoper Straße

Neugraben. Heute Hamburg und Rostock, gestern Bremen, übermorgen Berlin: Karin Freier und ihre sechs Kollegen vom Bundesverband Deutscher Gartenfreunde kommen viel rum. Seit zwei Wochen reist sie im Bus durch das Land. Ihr Ziel: Im Rahmen des Bundeswettbewerbs "Gärten im Städtebau 2010" guckt sie in 28 Kleingärten über die Laubenzäune. Diese Gärten konnten schon in einer Vorauswahl überzeugen, zählen also zu der Creme de la Creme der deutschen Kleingartenwelt. Da ist es schwierig für Freier, Bewertungen abzugeben, denn alle Favoriten haben ihre Wege geharkt, die Hecken zurecht gezupft und das Unkraut am Vereinsheim vernichtet: "Jetzt geht es um die Feinheiten", sagt sie. Heute schaut sich die Teltower Gartenexpertin mit den anderen Juroren die Kolonie "Neugrabener Moor" an der Francoper Straße in Neugraben an.

Diesem Moment hat Vereinsvorsitzender Dieter Braukmüller schon seit Wochen entgegen gefiebert. Nicht nur die warmen Sommertemperaturen treiben ihm die Schweißperlen auf die Stirn. Bevor es zur Besichtigung der etwa sechs Hektar großen Laubenpieperanlage geht, berichtet er im Clubhaus über die Besonderheiten. "Wir haben 191 Mitglieder. 85 Kleingärtner sind ausländischer Herkunft." Es gibt ein großes Feuchtbiotop, ein Insektenhotel, und Obstbäume, die alte Apfelsorten tragen, säumen einen Weg.

Für die Parzellen gibt es lange Wartelisten

Doch auch das soziale Miteinander ist ein Entscheidungskriterium. "Vom Hartz-IV-Empfänger bis zur Beamtin ist alles dabei", sagt Braukmüller. Freie Parzellen gibt es nicht. Und das auf Sicht. Es gibt lange Wartelisten. Wer die Wege einige Meter entlang spaziert, weiß warum. Das grüne Idyll ähnelt einem Park. "Einige Mitglieder kommen aus der nahe gelegenen Sandberg-Siedlung. Die sind froh, dass sie einen Garten haben und nicht nur einen Beton-Balkon."

Braukmüller führt die Jury zur ersten Station des Rundgangs, in den blühenden Bauerngarten - ein Paradies für die Bienen, die immer wieder aus ihren Bienenstöcken ausschwärmen. Dann geht es über einen Knüppeldamm ins Feuchtbiotop. Gelbe Lilien, Bambus und viele Gräser sowie ein Erlenbruchwald säumen die Teiche und Kanäle. Jury und Kleingärtner betreten eine völlig andere Welt. Jürgen Sheldon, einer der Wettbewerbsrichter, schlägt nach einer Mücke. "Hier gibt es anscheinend reichlich Nahrung für die Frösche", sagt er. Richtig begeistert ist er jedoch einige Meter weiter an der Kernobstallee. Hier haben die Kleingärtner alte Obstsorten gepflanzt. Sie kümmern sich auch um den fachgerechten Schnitt.

Jurymitglied Martin Rist aus Bayern bleibt einige Schritte hinter der Gruppe, macht Fotos und lässt sich viel Zeit beim Betrachten der Gärten. "Am Anfang unserer Tour dachte ich noch, dass Lauben in Bayern ganz anders aussehen als in Sachsen oder Schleswig-Holstein. Das ist aber gar nicht so." Es herrscht gepflegte Einheitlichkeit an den Parzellen zwischen Flensburg und München.

Sein Kollege Werner Heinz hat nicht so viel vom Leben im KGV Neugrabener Moor mitbekommen. Während es Rundgangs unterhält er sich mit Verwaltungsmitarbeiter Gerald Boekhoff, der als Angehöriger des Harburger Bezirksamtes ebenfalls an der Veranstaltung teilnimmt. "Hier heißt es, dass es so viele Migranten geben soll, aber man sieht sie gar nicht", sagt Heinz. Wenige Schritte hinter ihm schlendert Wladimir Pracht. Der Kleingärtner ist deutsch-russischer Abstammung und im Vorstandsteam des Vereins.

Die Tomaten kommen dieses Jahr nicht so gut

Jede freie Minute verbringt das Oberhaupt einer zehnköpfigen Familie auf seiner Scholle, weiß, dass Tomaten dieses Jahr nicht so gut kommen und fast jeder Gartenbesitzer ein Gewächshäuschen hat. Heinz bemerkt auch nicht die kleinen türkischen Mädchen, die, während ihr Vater ein Plastikplanschbecken im Garten aufbläst, mit ihren kleinen Fahrrädern ausgelassen die Wege entlang rasen.

Als die Gruppe wieder am Vereinsheim angekommen ist, ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Einzig Jürgen Sheldon scheut sich nicht, offen zu sagen, dass der KGV Neugrabener Moor einen sehr guten Eindruck auf die Jury gemacht hat. Gerne wäre er noch geblieben, doch die nächsten Laubenpieper in Rostock warten schon.

Vereinsvorsitzender Braukmüller wischt sich erst einmal den Schweiß von der Stirn. Er spekuliert auf eine Goldmedaille. Erst am 16. Oktober aber wird feststehen, welche Kleingärten das Rennen gemacht haben. Wladimir Pracht hat es unterdessen eilig. Er will endlich in seinen Garten, zu seinen Kindern, Enkeln - und zu den Tomaten.