Wo bis vor kurzem noch Bullen gemästet wurden, werden ab heute harte Haken geschlagen

Nenndorf. Geht es um den Ruf als originellste Sportstätte in und um Hamburg, bekommt der legendäre Boxkeller der Kiez-Kneipe "Die Ritze" Konkurrenz: Die Boxsportabteilung des TSV Hittfeld eröffnet am kommenden Dienstag ihre neue Trainingsstätte - einen umgebauten Bullenstall in Nenndorf. Wo einst 70 Bullen gemästet und später Getreide gelagert wurde, dreschen bald Sportler auf Sandsäcke ein, üben "Gerade", "Haken" und "Aufwärtshaken".

Kein Hauch von Luxus stört die Konzentration der Athleten auf das Wesentliche. Der Fußboden ist aus kargem Stein. Duschen gibt es hier nicht. Eine Atmosphäre, in der Meister gemacht werden. Die Boxlöwen, so nennen sich Hittfelds Faustkämpfer, gehen mit ihrem Boxstall an die Wurzeln des Boxsports zurück. Damals, vor dem Ersten Weltkrieg, als Faustkämpfe noch verboten waren und sich Boxer versteckt in Scheunen oder leeren Fabriketagen trafen. Nebenbei erhält das Wort Boxstall eine neue, wortwörtliche Bedeutung. Eigentlich bezeichnet ein Boxstall ein Unternehmen, das Boxveranstaltungen organisiert und Athleten vermarktet.

Hittfelds Boxer ziehen in den Stall, weil ihre Trainingshalle, die sogenannte Alm, abgerissen wird. Die angebotenen Trainingszeiten von 20 bis 22 Uhr in einem Ausweichquartier, bis der Neubau steht, hält Boxtrainer Gernot Tobinski für seine etwa 20 Jugendlichen für nicht zumutbar. "Und ab November sollten wir auch noch Platz machen für die Fußballer", sagt er. "Wir hätten auf der Straße gestanden."

40 Aktive zählt die Boxsportabteilung. Die neue Trainingsstätte mit Kultcharakter verdanken sie ihrem Coach. Und ihrem Verein, der den Stall an der Bremer Straße in Nenndorf von dem Uelzener Landwirt Karl Friedrich Bodin mietet. Zu einem Preis unter Marktwert, wie es heißt. Zwei Auflagen erteilt der Vermieter: keine Autos auf den Hof - und kein Alkohol.

Gernot Tobinski entdeckte den leer stehenden Stall auf dem Gelände seines Nachbarn und erkannte dessen Potenzial als Trainingshalle. Der 63-Jährige verwandelte das zuletzt als Getreidelager genutzte Gebäude größtenteils in Eigenarbeit in ein Boxtrainingszentrum um. "Zwei Monate lang, beinahe jeden Tag von 7 bis 21 Uhr", sagt Tobinski. Vor allem war das Drecksarbeit: "Die Fenster waren so schwarz", sagt er, "ich dachte erst, die seien getönt."

Zupacken, das kann der gebürtige Brandenburger. Früher hat er beim FC St. Pauli Rugby gespielt, brachte es sogar bis in die Hamburger Auswahl. Beruflich hat Gernot Tobinski nichts ausgelassen: Er lernte Schlachter und Koch, baute Wintergärten, reinigte die Abflüsse auf der Köhlbrandbrücke und transportierte Gefahrengüter. Die Boxtrainer-Lizenz hat er seit 2003.

An den weiß gestrichenen Wänden im Boxstall hängen jetzt stählerne sogenannte Galgen, an denen Sandsäcke baumeln. Das Prunkstück ist aber der Wettkampfring aus Eichenholz in dem gut 360 Quadratmeter großen Gebäude. Eine überdimensionale Plane mit dem Bildnis des deutschen Überboxers Max Schmeling bedeckt die Ringmatte. Möglicherweise wird der renommierte Boxstall Universum die Nenndorfer Boxhalle mit einer Matte ausstatten. Tobinksi verhandelt noch mit dem Unternehmen von Promoter Klaus-Peter Kohl. Silberne Scheinwerfer im Retro-Stil tauchen den Ring in gleißendes Licht - eine Bühne für große Kämpfe. Gernot Tobinski, ein Tausendsassa mit unzähligen Kontakten, rettete die von der Holsten-Brauerei ausrangierten Scheinwerfer vor der Verschrottung.

Eigentlich soll der Boxstall nur eine Interimslösung sein, bis der Sporthallenneubau fertig ist. Doch Trainer Tobinski will die Kult-Sportstätte nicht mehr aufgeben: "Ich bleibe hier, nicht nur ein Jahr."

Zunächst einmal ist am heutigen Dienstag die Einweihungsfeier mit Sponsoren. Rosengartens Bürgermeister Dietmar Stadie (SPD) wird die Sportler aus der Nachbargemeinde begrüßen, die seiner Gemeinde so unvermittelt einen Boxstall beschert haben. Stadie soll früher einmal selbst geboxt haben.