Zwei Drittel aller Chefs im Norden in den Handels- und Dienstleistungsbetrieben erlauben Mitarbeitern die WM-Spiele zu verfolgen.

Harburg. Südafrika gegen Mexiko, das Eröffnungsspiel zur Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Die Gewerkschaften in dem Kapstaat appellieren an die Unternehmen, ihren Arbeitgebern drei Stunden vor dem Anstoß um 16 Uhr frei zu geben. Damit die Anzahl der Krankmeldungen an diesem Tag nicht auf Rekordhöhe ansteigt, stellen viele Firmen große Bildschirme auf - oder geben den Mitarbeitern gleich den ganzen Tag frei.

Am kommenden Freitag stehen Deutschlands fußballbegeisterte Arbeitnehmer vor dem gleichen Dilemma: Um 13.30 Uhr spielen Jogis Buben gegen Serbien - für Berufstätige der blanke Horror. Denn Mitarbeiter haben keinen Anspruch, das Spiel während der Arbeitszeit verfolgen zu dürfen. Arbeitsrechtlich ist die Fußball-WM auch im Land des dreifachen Weltmeisters kein Ausnahmezustand.

Psychisch schon - und deshalb gestatten es zwei Drittel aller Chefs in den norddeutschen Handels- und Dienstleistungsbetrieben ihren Mitarbeitern, nach Absprache wichtige Spiele während der Arbeitszeit zu gucken. Das ergab eine Umfrage des Aga Unternehmensverbandes bei 315 Firmen.

Freitag, 13.30 Uhr, in den Büros im Süden Hamburgs - wer darf während der Arbeitszeit das Deutschland-Spiel gucken? Und wer schaut in die Röhre? Die "New Economy" steht für flache Hierarchien, lockere Chefs und flexible Arbeitszeitmodelle. Ein Paradies für WM-Gucker: Die 70 Mitarbeiter der Computerspiele-Schmiede Inno Games im Harburger Binnenhafen dürfen eine kreative Pause machen: Zum DFB-Kick kommt die Belegschaft vor der Großbildleinwand zum Rudelsehen zusammen. Die Geschäftsleitung gibt sogar Bier aus. "Natürlich wird das kein Gelage", sagt Dennis Heinert. "Wir haben eben das Glück, keinen minütlichen Kundenkontakt zu haben."

Das krasse Gegenstück in der Finanzbranche: Trotz Konferenzräumen mit Beamer-Technik - die beiden großen Geldinstitute der Region haben keine Sonderregelung für die Fußball-WM getroffen. Die Banker müssen arbeiten, wenn der Ball rollt. Ein gemeinschaftliches Sommermärchen bleibt den 850 Mitarbeitern der Sparkasse Harburg-Buxtehude und den 280 Beschäftigten der Volksbank Nordheide verwehrt. Immerhin: "Wenn einzelne frei nehmen wollen", sagt Wilfried Wiegel von der Sparkasse, "werden wir wohlwollend entscheiden." In den Geschäftsstellen der Volksbank laufen Fernseher, so dass Kunden und Banker über den Spielstand informiert sind.

Frischer Salat wird am Sonnabend nicht knapp werden: Bei der Behr AG in Ramelsloh, Deutschlands größter Gemüseanbauer, ist keine Auszeit während des Länderspiels geplant. Für die meist polnischen oder rumänischen Feldarbeiter sei das Match nicht interessant, heißt es. Bei der Fußball-WM 2006, Deutschland spielte gegen Polen, ließ das Unternehmen noch eine kleine Tribüne aufbauen, die Belegschaft grillte und guckte zusammen.

In vielen Unternehmen wird der organisierte Ausnahmezustand herrschen: Fußball geguckt werden darf, wenn der Betriebsablauf gesichert ist. Die Spethmann Holding ("Meßmer Tee") in Hittfeld zum Beispiel erlaubt ihren Mitarbeitern, das Spiel live im Konferenzraum zu sehen. Der bietet Platz für 40 bis 60 Fans der insgesamt 200 Mitarbeiter. Wer WM guckt, müsse vor- oder nacharbeiten, heißt es in der Personalabteilung.

Ein ähnliches Bild bei Havi Logistics (165 Mitarbeiter) in Neu Wulmstorf, das die McDonald's-Restaurants in Norddeutschland beliefert. Sind die Lieferungen garantiert, dürfen die Beschäftigten das Deutschland-Spiel in Gemeinschaft sehen. "Unsere Kantine", sagt Chef Jörg Gehrmann, "ist für die Fußball-Weltmeisterschaft mit Fahnen dekoriert."

Keine Fußball-Pause dagegen bei der Polizei in Harburg. Wenn die DFB-Elf gegen Serbien kickt, werden sechs Streifenwagen in der Stadt unterwegs sein. Polizisten seien durch die Ereignisse fremdbestimmt, sagt der stellvertretende Revierleiter Hans-Jürgen Petersen. Da sei kein Platz für eine Auszeit.

Einen Ausnahmezustand wie nach dem Sieg am Sonntagabend gegen Australien, als feiernde Fans den Harburger Ring blockierten, will die Polizei am Freitagnachmittag nicht zulassen. Sollten die meist Jugendlichen wieder die Straße stürmen, werde die wichtige Verkehrsachse geräumt, kündigt die Polizei an. Es gebe bessere und vor allem sicherere Orte für die Siegesfeier, etwa den Rathausplatz oder den Herbert-Wehner-Platz.