Stephanie Probst ist Tiertrainerin und arbeitet mit 24 Hengsten im Zirkus ihrer Eltern

Winsen. Hoch erhebt sich die rot-gelbe Zeltkuppel über den Platz. Kinder wippen aufgeregt auf ihren Plätzen hin und her, die Augen vor Aufregung weit aufgerissen. Bunte Lichter flackern durch die verdunkelte Manege. Magie liegt in der Luft. Hinter dem großen Vorhang atmet die junge Frau noch einmal tief durch, streicht mit der Hand über ihr blütenweißes Kleid, setzt ihr strahlendstes Lächeln auf. Dann treibt sie ihre Pferde raus in die Manege.

Stephanie Probst ist Tiertrainerin und leitet die Pferdeshow im Zirkus Probst. 24 Hengste gehören zu ihrer Gruppe, drei von ihnen hat sie selbst gekauft.

Heute hier, morgen dort: das Leben in der Manege, in der Enge eines Wohnwagens - Stephanie Probst kennt kein anderes. Seit ihrer Geburt ist sie mit ihren Eltern Reinhard und Brigitte sowie ihren Geschwistern Sonja und Andreas auf Tour. Die 23-Jährige liebt das Scheinwerferlicht, den Geruch der Tiere und das leise Knirschen der Sägespäne unter ihren Schuhen.

Wie ist es, ein "Zirkus-Mädchen" zu sein? "Toll", sagt sie höflich aber knapp. Die junge Frau wirkt konzentriert, lächelt wenig, das spart sie sich für die Vorstellung auf. Zirkus ist ein hartes Geschäft und ein stressiges. Es ist 2 Uhr mittags und Stephanie hat noch nichts gegessen, sie muss erst die Pferde versorgen, sich schminken, umziehen. Heute ist Familientag, dann wird das Zirkuszelt schon um 15 Uhr geöffnet. 70 Mitarbeiter reisen mit der Familie durch ganz Deutschland. Tierpfleger, Zeltarbeiter, Techniker, Akrobaten aus allen Herren Ländern, gastieren von Mitte Januar bis Ende November in 45 Städten. Mit mehr 200 Tieren gehört der Zirkus zu den größten Deutschlands.

Einer, der schon seit 40 Jahren mit auf Tour geht, ist Laurens Thoen. Der gebürtige Holländer kümmert sich um das Marketing des Familienunternehmens. Nein, mit Romantik habe das Zirkusleben nichts zu tun, wohl aber mit Faszination. Auch wenn die Zeiten härter geworden sind. "Man muss sich immer etwas Neues einfallen lassen, um konkurrenzfähig zu bleiben", sagt er. Für diese Saison hat die Familie eine elf-köpfige Artistengruppe aus Cuba engagiert. Da habe allein der Flug nach Deutschland inklusive des Transports der Ausrüstung 20 000 Euro gekostet.

Die Familie zahlt. "In anderen Ländern wie Frankreich wird Zirkus als Kulturform anerkannt. In Deutschland nicht. Wir können auf keine staatliche Unterstützung hoffen", so Laurens Thoen. Dabei erschweren die gestiegenen Energiepreise vielen Schaustellern das Überleben. Aber die Kosten über Eintrittspreise an die Besucher weiter zu geben - das gehe nicht. "Hauptsächlich werden die Vorstellungen von Familien besucht, und die müssen ja auch aufs Geld schauen", sagt der Zirkusmitarbeiter. Zwei, drei Mal habe er versucht, sesshaft zu werden. Aber er sei immer wieder zurückgekehrt.

Auch Brigitte Probst hat das bodenständige Leben mit festem Wohnsitz, geregelter Arbeit am Anfang vermisst. Sie wohnte in Neustadt an der Weinstraße in Rheinland-Pfalz, hier hat sie Reinhard Probst kennengelernt, hier ist der Zirkus gemeldet. Sie hat ihn geheiratet und sich damit für ein Zirkusleben entschieden. Heute kümmert sich die 50-Jährige um die Büroarbeit, Buchung und Betreuung der Mitarbeiter. Sie sei immer ein Pferdefan gewesen, aber für eine eigene Show habe es nicht gereicht. "Meine Tochter Stephanie lebt meinen Traum", sagt Brigitte Probst.

Der erste Gang nach dem Frühstück führt die 23-Jährige in den Stall. Ein Zelt mit Boxen, in denen ihre Lieblinge darauf warten, gefüttert und gestriegelt zu werden. Dann beginnt die Probe. "Eine Kindheit im Zirkus ist toll", sagt sie und fährt dem Schimmel durch die Mähne. "Wir hatten so viele Tiere um uns herum, haben so viel Quatsch gemacht. Einmal haben wir die Ponys als Zebras angemalt." Nur mit dem Unterricht sei es anfangs schwierig gewesen.

Dort, wo der Zirkus gastiert hat, sind die Kinder in die Schule gekommen. Spätestens nach einer Woche ging es weiter. Keine gute Regelung. "Wenn man dann Eltern hat, die einen nicht unterstützen, ist man aufgeschmissen", so die blonde Frau. Aber Reinhard und Brigitte Probst haben eine Lehrerin über die Schule für Circuskinder in NRW engagiert, die mit gereist ist. Aus ihren Kindern sollte etwas werden.

Was ihre Zirkusarbeit angeht, habe sie von dem Besten gelernt, da ist sich Stephanie sicher. Uwe Schwichtenberg, der ehemalige Star-Dompteur des DDR-Staatszirkus, ist nach der Wende zum Zirkus Probst gekommen und hat das Talent des Mädchens erkannt. Mit drei stand Stephanie das erste Mal in der Manege, mit sechs hat sie eine eigene Pony-Show übernommen, mit 13 die Pferde. Dabei versucht sie ihre Arbeit so zu machen, wie sie es von ihrem großen Vorbild gelernt hat: mit viel Ruhe und Geduld. Die Tiere schlagen sei tabu. Etwas anderes machen, den Zirkus verlassen - das komme für sie genauso wenige in Frage wie für ihre Geschwister Sonja und Andreas. Auch nach dem schlimmen Unfall ihrer Schwester habe sich das nicht geändert. Stephanie war damals 12, ihre Schwester 15 und eine talentierte Artistin.

"Ich war hinten bei den Ponys", erinnert sich Stephanie an die Vorstellung, nach der für die Familie nichts mehr so sein sollte, wie es war. "Auf einmal hat die Musik ausgesetzt, und ich habe meinen Vater schreien hören. Da wusste ich, dass etwas Schreckliches passiert ist." Sonja war aus zehn Meter Höhe in die Manege gestürzt. Das Drahtseil, auf dem sie tanzen sollte, war gerissen. Materialfehler. Stephanie rannte in die Manege, sah ihre Schwester am Boden liegen. "Was mich am meisten entsetzt hat war, dass einige Besucher ihr Geld zurück verlangt haben. Das kann ich bis heute nicht begreifen." Es folgten Notoperationen, Wochen des Bangens und Hoffens. Heute ist Sonja wieder da, bringt als Clown ihr Publikum zum Lachen.

"Es war eine schreckliche Zeit, aber vielleicht hat uns das noch mehr zusammengeschweißt", sagt Stephanie und streift sich ihr Glitzer-Jackett über. Gleich kommen die ersten Besucher, dann beginnt die Show. Wer sein erstes Paar Schuhe in der Manege abgelaufen hat, der kommt von diesem Leben nicht mehr los, so heißt es. Wer die junge Frau mit ihren Tieren erlebt hat, versteht ein bisschen warum.

Von Sonnabend, 19. Juni, bis Montag, 21 Juni, gastiert der Zirkus Probst auf dem Festplatz Bleiche in Winsen.