Buchholz/Hamburg. Auch ein neues Gutachten beendet den Prozess der Buchholzerin Sarah T. gegen die Versicherung Generali nicht. Dem Landgericht Hamburg liegt ein Gutachten des Hamburger Ingenieurbüros R. Swozil & U. Geisler vor, wonach nicht zu beweisen ist, dass Sarah T. bei ihrem tragischen Unfall nicht angeschnallt war. Wie mehrfach berichtet, verklagt die inzwischen 24 Jahre alte mehrfach schwer behinderte Mutter eines kleinen Jungen ihre Unfallversicherung, die Generali, auf 7,2 Millionen Euro Schmerzensgeld. Sarah braucht dieses Geld, unter anderem um die Kosten für ihre aufwendigen Therapien und Pflege zu bestreiten. Außerdem beinhaltet die Summe auch ein Schmerzensgeld. In dem Prozess geht es um die höchste Schadensumme, die ein Unfallopfer je in Deutschland gefordert hat.

2004 geschah der Verkehrsunfall, als Sarah mit Ehemann und Sohn Manuel, damals neun Monate alt, auf einer Italienreise war. Sarahs Ehemann, der am Steuer des Wagens saß, hatte auf der Brenner-Autobahn die Kontrolle über das Auto verloren und war in die Leitplanke gerast. Bei dem Aufprall wurden Sarah und Manuel aus dem Auto geschleudert. Das Baby blieb bis auf einige Prellungen unverletzt. Sarah T. zog sich schwerste Hirnverletzungen zu und ist seitdem ein Pflegefall. Sie lebt mit Manuel bei ihrer Mutter Brigitte T. ,58.

Die Versicherung sieht eine Teilschuld ihrer Klientin

Die Generali wollte per Gutachten nachweisen, dass Sarah T., die auf dem Rücksitz saß, bei dem Unfall nicht angeschnallt gewesen war und damit eine Teilschuld an ihren schweren Verletzungen trägt. Der Versicherungskonzern versucht damit, die Versicherungssumme zu reduzieren. Das vom Gericht beauftragte Gutachter-Büro stellte nun aber fest: "Der sichere Beweis, dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht angegurtet war, ist nicht zu führen."

In dem Gutachten, das dem Abendblatt vorliegt, heißt es weiter: "War die Klägerin nicht angegurtet, so muss sie durch den Anstoß von links im Pkw nach vorn hin geschleudert worden sein. Weder in der Frontscheibe noch an der Armaturentafel sind Kontaktspuren erkennbar, die einem Anstoß der Klägerin eindeutig zuzuordnen sind. Nur die Rückenlehne des Beifahrersitzes war etwas verformt. Der Zustand des Innenraumes lieferte daher keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt war."

Die Gutachter kommen zu dem Schluss, dass die junge Frau durch die Heckklappe geschleudert wurde. "Aufgrund des Zustandes des Fahrzeuginnenraums und des rekonstruierbaren Unfallablaufs, ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Klägerin aus dem Fahrzeug geschleudert wurde, obwohl sie zum Unfallzeitpunkt den Gurt benutzt hatte." Bauch- und Brustgurt können ein Beschleunigen des Körpers nach vorne verhindern, aber nicht nach hinten. Trotzdem gehen die Anwälte der Generali davon aus, "dass der Beweis dafür, dass die Klägerin nicht angeschnallt war, erbracht ist". In einem Schreiben an Sarah T. heißt es: "Die Sachverständige kommt in ihrem plausiblen und überzeugenden Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Klägerin mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht angeschnallt war."

"Der Prozess hat die Ebene des Absurden erreicht"

Jürgen Hennemann, Fachanwalt für Versicherungsrecht: "Sofern ein Versicherer ein Mitverschulden des Unfallopfers behauptet, trifft ausschließlich ihn die volle Beweislast. In diesem Fall gelangt die Generali nicht einmal in die Nähe eines Beweises, da die Gerichtsgutachterin festgestellt hat, dass Sarah mit höchster Wahrscheinlichkeit angeschnallt war. Die Prozessführung der Generali überbietet inzwischen alles bisher Dagewesene und ist jetzt auf der Ebene des Absurden angekommen." Der Buchholzer Anwalt vertritt Sarah T. vor dem Hamburger Landgericht. Sarahs Mutter ist erschüttert über die Reaktion der Generali auf das Gutachten. "Es ist unbegreiflich, was sich da abspielt. Vorher hatte die Generali eindeutig signalisiert, sobald das Gutachten da sei, und dieses Gutachten nicht den Beweis liefere, dass Sarah ohne Gurt im Auto saß, werde sofort nachreguliert. Für einen normalen Menschen ist es doch überhaupt nicht mehr nachvollziehbar, wie die Anwälte der Generali jetzt das Gutachten interpretieren."