Die Theater-AG des Niels-Stensen-Gymnasiums bringt das ewig junge Thema im Rieckhof auf die Bühne

Als Schwester Peters sie fragte, ob sie sich denn zutraue, die Theater-AG am katholischen Niels-Stensen-Gymnasium zu leiten, hatte Petra Max gezögert. Eigentlich formte sie schon das "Nein" auf ihren Lippen. Schließlich kannte sie die Schüler bislang nur als Elternteil. "Ich habe dich schon angemeldet", hieß es darauf kurz und bündig von der Schulleiterin. Heute steht Petra Max, 44 Jahre, mit Jeans, lockigen Pagenkopf, Chucks und einem breiten Grinsen inmitten ihrer Schüler. Die Stimmung ist gut. Geprobt wird im Gemeindehaus St. Marien in Harburg, das mit seiner altmodischen Holzvertäfelung und der weißen Kassettendecke einen eigentümlichen Charme ausstrahlt.

Wer glaubt, Jugendliche würden heute nur noch Klingeltöne auf ihr Handy laden und von klassischer Literatur ungefähr so viel verstehen, wie ein Bauer von moderner Transplantationsmedizin, wird überrascht. Rund 20 Schüler der katholischen Privatschule sind zur Probe gekommen, haben Rucksäcke, Handys, Getränke und Textbücher auf den Tischen verteilt. Zwar tippen die Jugendlichen mit ihren modisch fransigen Ponyfrisuren auch auf ihren Telefonen herum, doch in ihren Textbüchern stehen eben auch Ringelnatz, Herold Pinter oder Stücke von "Romeo und Julia" bis hin zu "Faust".

Wer keinen Einsatz hat, probt still seinen Text: Wie Artan Markaj, ganz in schwarz gekleidet. Mit blauen Riesenkopfhörern sitzt der Schüler vornüber gebeugt auf seinem Stuhl. Konzentriert, während Henrieke Max und Daniel Kerndorff "Was es ist" von Erich Fried proben. In Artans Skript ist großzügig der gelbe Textmarker eingesetzt. "Am besten lernen kann ich während der Probe", sagt er. Gleich wird sich der Schüler in Cyrano de Bergerac verwandeln. Jeden Donnerstag von 14.30 bis 16 Uhr steht Theater-AG auf dem Stundenplan. Freiwillig. Und das seit sechs Jahren. "Ich hätte gerne noch viel mehr Zeit zum Proben", sagt Petra Max. So müsse oft gerafft werden, sei nicht immer Zeit für Sprech- und Atemübungen. Aktuell hat sie das Stück "Und Liebe wagt" auf den Stundenplan gesetzt. Die jugendlich wirkende AG-Leiterin staunte, wie offen und locker ihre Schüler sich dem Thema annäherten, sogar ganz unbefangen die eine oder andere Beinahe-Kussszene probten.

Klassische Zitate reihen sich aneinander

Was ist eigentlich Liebe? Samira legt los: "Liebe - griechisch: eros, lateinisch: amor, griechisch: agape. Starke Zuneigung, intensive Gefühlsbeziehung, insbesondere die seelische Bindung an den Geschlechtspartner oder die Familienangehörigen." Geschafft, die Schülerin hat ihren Text aufgesagt, mit dieser gewissen Nüchternheit, die das Lexikalische erst so witzig macht. Und dann hat Artan seinen Part: "Auch die emotionale Zuwendung zu Mitmenschen allgemein oder eine Haltung zur Welt als Ganzes bezeichnet man als Liebe." Die Stimme des Jungen mit den dunklen gestuften Haaren klingt süffisant, die Mimik ist ausgeprägt. Weiter geht es mit klassischen Zitaten von Cicero, Shakespeare, Heine und Garbo.

Die Schüler liefern ein Potpourri an Szenen rund ums flatternde Herz, verschmähte Liebe und schmachtende Blicke. "Von Ovid bis Pinter", lobt Petra Max ihre Truppe ein bisschen. Sie hat den Schülern diesen Liebesreigen aus klassischen Texten gebastelt.

Natürlich durften die Schüler sich selbst einbringen. "Doch es musste auch alles sehr schnell gehen" sagt Max, so habe sie auch vieles vorgegeben. Woher sie die Texte hatte? Nicht etwa von ihrem Zweitjob in Leichers Buchhandlung, sondern von ihren eigenen Schauspielerfahrungen bei der kleinen Bühne. Doch bei einem ist sich die AG-Leiterin sicher, die mal Modedesign in Hannover studierte und als Quereinsteigerin im Schuldienst landete: "Wenn die Schüler die Texte nicht gemocht hätten, hätten sie sofort protestiert."

Die erstaunlichste Erfahrung sei gewesen, dass sich die Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren, die Ältesten besuchen bereits die elfte Klasse, mit großer Offenheit und Mut an die Liebe gewagt hätten. Auch eigene Bekenntnisse sind im Programmheft zu lesen. Claudia: "Liebe ist lebenswichtig, denn ohne Herz kann man nicht leben." Artan: Liebe ist "das Gefühl, das den Menschen am stärksten formt und verändert."

Die Kostüme organisieren die Schüler selbst

Daniel: Liebe "braucht Zeit, um sich aufzubauen." Klingelton-Lethargie oder Pisa-Krise klingen anders. 27 Szenen liefern in der Bühnenfassung eine "Tour de Force" durch die Jahrhunderte der Liebesprosa, Liebeslyrik und -dramatik: Klopstock, Heine, Ringelnatz und Lessing sorgen für Schmetterlingsgefühle und poetische Töne.

Sogar Frank Schaub, der junge Musiklehrer des Niels-Stensen-Gymnasiums - und das ist die eigentliche Überraschung - hat einen Gastauftritt im Schülertheater. Unter den Jugendlichen fällt er kaum auf. Henrieke Max, Tochter von Petra Max, steht mit ihm in einem Traum aus türkisblauer Seide auf der Bühne. Beide geben eine Szene aus Oscar Wildes Bunbury. Die Kostüme durften die Schüler selbst organisieren. Humana, der Second-Hand-Laden in Harburg, erwies sich dabei als Fundgrube. "Ich glaube, die Schüler hatten einen Heidenspaß", sagt Max, während sie die Probe verfolgt. Die Mitglieder der Theater-AG mögen es, dass sie selbst inszenieren dürfen. Petra Max hält sich zurück, vieles kommt von den Schülern. Selbstbewusstsein und Teamgeist der Schüler sind erstaunlich. Artan: "Richtig schlimmes Lampenfieber hat hier keiner mehr."

Hat einer bei der Probe mal einen Texthänger, merkt man dem Kandidaten den Ärger an. Dass man seinen Kollegen Applaus zollt, zählt in der AG zum guten Ton. Das Stück will aber nicht nur Zuckerwattestimmung verbreiten, es ist in Teilen auch recht kritisch, streift Themen wie Rassismus. Mögen die Deutschlehrer die engagierte AG-Leiterin? Oder sind die eifersüchtig? "Überhaupt nicht, wir arbeiten gut zusammen", so Max. Kein Wunder, denn die Theaterfrau dürfte den Schülern mit ihrer literarischen Feinkost einige Werke näher gebracht haben.

Und dann sammeln sich alle am Klavier: Rahel Schnitter, die gerade vom Concours Musical aus Paris zurück ist, greift in die Tasten, der Chor singt. Plötzlich ein durchdringender Schrei. Ist etwas passiert? Bloß ein kleiner Patzer. Bis zur Premiere ist ja noch Zeit.

"Und Liebe wagt" 4. Juni, 19 Uhr im Rieckhof, Karten im Schulsekretariat/Abendkasse