Immer mehr Bürger engagieren sich freiwillig etwa für soziale Aufgaben oder den Umweltschutz

Winsen/Harburg. 94 000 Tulpen strecken dem Himmel ihre Hälse entgegen. Wie ein gelb-roter Teppich ziehen sich ihre Blütenköpfe über das ehemalige Ausstellungsgelände der Landesgartenschau. Hier und da zupfen Männer und Frauen Unkrautpflänzchen aus dem Boden - alles für den großen Tag. Am Sonnabend, 1. Mai, steht zum vierten Mal das Tulpenfest in den Winsener Luhegärten auf dem Programm.

Dass dieses Fest stattfinden kann, dafür ist maßgeblich eine Gruppe von fleißigen Helfern verantwortlich, die sich im Förderverein Gartenschau Winsen zusammengeschlossen hat. "Jede der fast 100 000 Tulpenzwiebeln haben wir per Hand gesetzt", sagt Günther Homann und streicht sich mit der Hand über die Stirn. "Das war unheimlich viel Arbeit." Der 66-jährige Winsener ist Gruppenleiter der Abteilung Gartenpflege des Fördervereins Gartenschau Winsen, betreut 36 ehrenamtliche Mitglieder. Insgesamt hat der Förderverein 470 Mitglieder, die allein im vergangenen Jahr 1700 Arbeitssunden geleistet haben - unbezahlt.

Freiwillige, die Parkanlagen pflegen, sich um alte Menschen kümmern, Hausaufgabenhilfe geben oder in Krankenhäusern das Pflegepersonal unterstützen: In Zeiten klammer Gemeinde- und Stadt-Kassen sind Menschen, die sich für die Gemeinschaft einsetzten, besonders wertvoll.

Studien zufolge übernehmen auch immer mehr Menschen ein Ehrenamt. Rund 23 Millionen Bundesbürger engagieren sich heute in Vereinen, Gruppen, Initiativen oder Projekten. Das entspricht etwa einem Drittel der Bevölkerung. Tendenz steigend. Laut dem Freiwilligensurveys des Bundes 2009 kann sich insbesondere Niedersachsen über einen Zuwachs an Ehrenamtlichen freuen. Engagierten sich 2004 noch 37 Prozent der Niedersachsen, das sind 2, 4 Millionen Menschen, waren es 2009 hier bereits 2,8 Millionen Bürger, die sich im Ehrenamt einsetzten. Günther Homann ist 2004 einem Aufruf gefolgt.

"Damals wurden Freiwillige gesucht, die sich um die Bete während der Landesgartenschau kümmern", erinnert er sich. Aus dieser Arbeit entstand der Förderverein Gartenschau Winsen. Günther Homann war sofort dabei. Bete bepflanzen, Rasen trimmen, Gehwege harken, Hecken zurückschneiden, das macht ihm großen Spaß. Vor einigen Jahren ist der ehemalige Polizist in Pension gegangen. "Da habe ich gedacht: Und was kommt jetzt? Nur zurücklehnen, das kann es nicht gewesen sein." Günther Homann wollte sich nützlich machen, etwas an die Gemeinschaft zurückgeben.

Im Landkreis Harburg soll es Hochrechnungen zufolge rund 50 000 Menschen geben, die ein Ehrenamt bekleiden. "Diese Zahlen genau zu erfassen, ist allerdings schwierig", so Dagny Eggert, Leiterin der Agentur für Ehrenamt im Landkreis Harburg. Auf ihrer Webseite sind 36 Projekte aus dem Landkreis Harburg erfasst. "Dabei gibt es klare Gewinner", so Dagny Eggert. Besonders der Bereich Umweltschutz könne in den letzten Jahren Deutschland weit zahlreiche Helfende anziehen. "Viele suchen erst ab der zweiten Lebenshälfte wieder verstärkt nach einem geeigneten Ehrenamt." Doch wie findet man das?

An dieser Stelle kommt Dagny Eggert ins Spiel. In Fragebögen sollen ihre "Klienten" ausfüllen, was ihnen bei ihrem Engagement wichtig wäre. Anschließend folgt ein Beratungsgespräch. "Mein Ziel ist es, jedem Suchenden zwei bis drei Projekte zu vermitteln", erzählt die Agenturleiterin.

Die meisten Männer melden sich bei ihr, weil sie nach der Pensionierung aktiv bleiben, nicht rosten wollen. Frauen geben oft den Wunsch an, für andere da sein, etwas Sinnvolles tun zu wollen.

Wie zum Beispiel Katrin Scharff aus Bendestorf. Einmal in der Woche streift sich die 46-Jährige einen grünen Kittel über und läuft mit einer Sammlung von Brettspielen unter dem Arm über die Flure der Helios Mariahilf Klinik in Harburg. Katrin Scharff ist eine "grüne Dame". Mit sieben weiteren Damen im Alter von 46 und 70 Jahren ist sie im vergangen Herbst für dieses Amt geschult worden.

Seit Januar 2010 ist ihr Einsatzort die Kinderstation. "Ich spiele mit den Kindern, solang sie wollen", sagt Katrin Scharff. Manche von ihnen bekommen wenig Besuch, der sie zum Lachen bringen könnte, bei anderen spielen die Eltern gleich mit. Früher hat sich Katrin Scharff in der Schule ihrer Tochter engagiert. "Aber die ist jetzt fast erwachsen." Was die Mutter besonders mag an ihrem Ehrenamt? "Das ich den Kindern für eine kurze Zeit über ihre Schmerzen hinweghelfe", so Katrin Scharff. Auch die Eltern freuen sich über ihren Einsatz, sind dankbar. "Das ist ein gutes Gefühl."

Eine, die dieses Gefühl auch kennt, ist Dagmar Schwarze. Die Harburgerin wird in der Fachabteilung Innere Medizin eingesetzt. Hier wird die 65-jährige mit viel Leid konfrontiert. "Aber oft hilft es, wenn ich nur da sitze und mit den Patienten spreche, zuhöre." Eine Antwort auf die Frage nach dem Warum habe sie nicht. Damit muss man umgehen können. Dagmar Schwarze kann es.

"Menschen, die sich für dieses Ehrenamt interessieren, müssen ein weites Herz haben, die Fähigkeit zum Mitgefühl besitzen und psychisch stabil sein", erklärt Anita Merschendorf, Seelsorgerin an der Klinik. Sie betreut zusammen mit der Pflegedienstleiterin Silke Schuster die Gruppe um Frau Schwarze und Frau Scharff. "Dabei entlasten die grünen Damen das Pflegepersonal aber übernehmen keine pflegerischen Tätigkeiten", so Anita Merschendorf. "Das Ehrenamt soll keine Arbeitsplätze ersetzten." Das sei wichtig zu betonen.

Warum wieder mehr Menschen Erfüllung im Ehrenamt suchen, erklärt die Seelsorgerin so: "Viele wollen in unseren leistungsorientierten Gesellschaft etwas Sinnvolles tun, für das sie einmal nicht bewertet werden. Auch wenn die Kinder erwachsen werden oder die Rente vor der Tür steht, wollen sie sich nützlich machen." 60-Jährige fühlen sich heute wie 50, 70-Jährige wie 60, fit und leistungsstark.

Einige melden sich bei Anita Merschendorf auch aus einer Arbeitslosigkeit heraus. So tue man etwas und fühle sich nicht nutzlos. Deshalb sei es wichtig, dass Arbeitsmaterial, wie Kleidung, gestellt und die Tageskarte für den Bus von der Klinik bezahlt zu bekommen. "Jeder soll bei uns ein Ehrenamt bekleiden können", sagt Anita Merschendorf.

Günther Homann hat seinen Dienst beendet und sich auf eine Bank im Park gesetzt. "Von hier hat man einen traumhaften Blick über die Luhegärten", schwärmt er. Ein zufriedenes Lächeln huscht über sein Gesicht. "Wir wollen demnächst mal besprechen, was man noch verändern könnte. Es gibt noch viel zu tun!"