Svenja Maaß und Tomoko Inagaki waren beide für ein Jahr zu Gast im Mayrschen Haus in der Lämmertwiete. Jetzt zeigen sie zusammen ihre Arbeiten.

Harburg. Heute geht es ausnahmsweise mal nicht durch die Tür rechts, sondern durch die links. Svenja Maaß dreht den Schlüssel um, und schon wird der Blick frei auf eine lang gezogene Atelierfläche, die von der Frühlingssonne durch die Fensterfront gegenüber beschienen wird. Kaum noch etwas erinnert an den Tag vor drei Monaten, als Svenja Maaß (32) im Künstlerhaus am Bullerdeich unten die Tür öffnete und ihr das Wasser bereits an den Füßen entgegen schwappte. Wasserrohrbruch! Svenja Maaß weiß noch genau, wie sie damals mit klopfendem Herzen die Treppen hoch nach oben in ihr Atelier rannte. Immer die Frage im Kopf: "Was ist mit meinen Werken?" Hinter der Ateliertür tropfte das Wasser bereits von den Wänden, und ihre Bilder und Vorarbeiten auf dem Schreibtisch wellten sich unter der Feuchtigkeit. Glücklicherweise waren viele ihrer eigenen Werke jedoch gerade nicht im Atelier, da die Künstlerin im Marstall in Ahrensburg ausstellte. Wegen des Wasserschadens ist Svenja Maaß heute, drei Monate später, im Raum nebenan - und gerade muss wieder eine Ausstellung vorbereitet werden - eine im Harburger Kunstverein, die mit ihrer Vergangenheit als Stipendiatin von "Künstler zu Gast in Harburg" zu tun hat.

Ein Werk von gigantischen Ausmaßen springt im Atelier sofort ins Auge, an dem Svenja noch ein wenig schrauben muss. Noch "ein wenig mehr Plastizität", Kleinkram eben. Passenderweise ist der Titel ihres Bildes "Tutti" (alles). Svenja Maaß setzt sich auf einen der weißen Plastikstühle vor das Bild und erzählt zögerlich. Sie erinnere die Szenerie ja irgendwie "an eine Konzertmuschel" und irgendwie sei nicht klar, welches "Stück da gespielt" werde. In der Tat! Hyperrealistisch und mit gedeckten Farben, ganz in altmodischer Manier eben, blickt einem die Szenerie von der großformatigen Leinwand entgegen. Doch dann nimmt das Auge erste Unstimmigkeiten wahr: Das Sammelsurium an Personen passt irgendwie nicht zusammen, eine Art Fußballspieler, ein Mann mit einem Teppichklopfer, daneben ein muskelbepackter Mann im Blaumann, exotische Tiere und im Hintergrund die Ornamente, die so typisch für die Künstlerin sind. Eine weitere Spezialität sind Svenjas "Bildhelden", Figuren, die sie selbst in ihren Bildern immer wieder zitiert und in neuen Kontexten auftauchen lässt. Schaut man sich mehr von der Künstlerin an, so sieht man immer wieder ihren doppelbödigen Witz, der das vordergründig Altmeisterliche der Malerei transzendiert.

Svenja Maaß wird "Tutti" natürlich mitnehmen: 2,50 mal 3,80 Meter ist das Opus groß und wird mit Hilfe ihres Freundes im gemieteten Sprinter-Lieferwagen zur Ausstellung im Kunstverein Harburger Bahnhof gebracht, wo der Verein "Künstler zu Gast in Harburg" seine beiden Stipendiatinnen ausstellt: Tomoko Inagaki, deren Stipendium dieses Jahr enden wird und aus dem vorigen Jahr die Stipendiatin Svenja Maaß, die jetzt im Atelier am Bullerdeich zu Hause ist.

Seit 1994 wählt der Verein jedes Jahr einen jungen Künstler, der in das kuschelige Gastatelier unter dem Spitzdach in der Lämmertwiete und in die dazugehörige Wohnung ziehen darf. Aktuell ist die japanische Performance-Künstlerin Tomoko Inagaki (34), deren Heimat eigentlich 14 Flugstunden entfernt in Osaka ist, im Genuss dieser Zuwendung.

Inzwischen hat Svenja Maaß ihre Nachfolgerin auch an dem etwas verzogenem Schreibtisch unter den spitz zulaufenden Holzbalken im Mayrschen Haus besucht. "Witzig" sei das schon gewesen. Alles noch so "gleich", doch irgendwie auch ganz anders: Immer noch imposant waren die schrägen Dachfenster, auf die manchmal der Regen trommelte oder durch die bei schönem Wetter die Sonne das Dachatelier mit Licht und Wärme flutete. Die Farbspuren am Boden waren noch zu sehen. Vermutlich Svenjas eigene. Und natürlich der Blick von dem alten Schreibtisch durch das Türfenster auf die Lämmertwiete. Ein Fenster, vor das man tunlichst nicht treten sollte, wie Svenja Maaß sich erinnert, da ein Balkon oder eine Brüstung davor fehlen. Doch einen Grund zu springen, gibt es für die jungen Künstlerinnen ja eigentlich eh nicht. Svenja hat das Stipendium schon etwas "gebracht". "Zeit" nämlich, um sich auch mal ziemlich frei "auszuprobieren". Und auch wenn es für die Ausstellungen nie Geld für die Künstler gibt, so begreife man das jetzt eben eher "als Chance", um auch Käufer für die Bilder zu finden.

Doch alles ist in der Lämmertwiete eben auch nicht gleich geblieben. Jetzt wirke das Atelier "schon kühler, technischer". Während in Svenjas Stipendienjahr nämlich die Malutensilien und Leinwände das Atelier bevölkerten und der Boden mit Farbspuren bekleckst war, kommt Tomoko mit einem schlichten silbernen Notebook aus, auf dem ihre Filme gespeichert sind.

Inzwischen ist auch Tomoko Inagaki beim Endspurt vor der Ausstellung. Eine Videoarbeit plus Installation will die Künstlerin mit den glatten dunklen Haaren und dem fransigen Pony im Kunstverein Harburger Bahnhof zeigen. Und da sich Tomokos Filmheldin einmal mit einer Perlenkette zu strangulieren scheint, wird der Film in einer Raum-Installation aus spinnenwebartigen Perlen gezeigt, so wie es typisch für die Künstlerin ist, deren Arbeiten Videokunst und Rauminstallation kombinieren und sich wechselseitig kommentieren lassen.

Wie bereitet man aber eigentlich eine gemeinsame Ausstellung vor? Svenja greift in einen winzigen Schuhkarton, in dem die Räumlichkeiten des Kunstvereins inklusive der hohen Fenster nachempfunden sind. Ganz klein. Sogar ihre eigenen Bilder gibt es als kleine Spielkärtchen, so dass man die Belegung der Räume schon mal proben kann. Wie es in groß aussieht, ist dann ab 8. April (19.30 Uhr) im Kunstverein Harburger Bahnhof zu bewundern.