Grundgesetzänderung geplant, Jobcenter werden nicht aufgelöst. Der befürchtete Behördenmarathon für Arbeitslose konnte abgewendet werden.

Winsen. Im Februar hatte Reiner Kaminski noch das Schlimmste befürchtet. Der Leiter des Fachbereichs Soziales im Landkreis Harburg prognostizierte Arbeitslosen einen erheblichen Mehraufwand bei der Antragstellung, wenn der damals vorliegende Gesetzentwurf beschlossen worden wäre. Er sah vor, die 346 bundesdeutschen Jobcenter und Arbeitsgemeinschaften (Arge) aufzulösen. Für den Kreis hätte das einen enormen Verwaltungsaufwand und 500 000 Euro Mehrkosten bedeutet. Arbeitslose fürchteten, doppelte Wege und doppelte Anträge in Kauf nehmen zu müssen.

Doch dazu wird es voraussichtlich nicht kommen. CDU, FDP und SPD einigten sich jetzt in Berlin darauf, den für die Arge verheerenden Gesetzentwurf fallen zu lassen und stattdessen das Grundgesetz zu ändern. Die zentralen Anlaufstellen für bundesweit 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger sollen belassen werden. Langzeitarbeitslose werden weiterhin "aus einer Hand" betreut.

"Mit der geplanten Verfassungsänderung ist der Grundstein für den Weiterbestand der Arge gelegt", sagte Reiner Kaminski gestern. Er sei "sehr froh", dass die Bundespolitik eine Einigung erzielen konnte. Denn somit bleibt für die rund 6000 Bedarfsgemeinschaften im Landkreis eine zentrale Anlaufstelle erhalten. Und auch die 120 Mitarbeiter der Arge-Niederlassungen in der Winsener Bahnhofstraße sowie der Buchholzer Poststraße könnten aufatmen. Ihre Arbeit und ihr Entwicklungsprozess - seit 2005 gibt es die beiden Anlaufstellen - seien damit gesichert.

Wie berichtet, hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2007 die enge Kooperation von Kommunen und Arbeitsagenturen in Form von Jobcentern als unzulässige Mischverwaltung beanstandet. Für Bürger müssten die Verantwortlichkeiten klar erkennbar sein, das bestehende Konstrukt sei vom Grundgesetz nicht gedeckt. Daraufhin scheiterte ein erster Versuch der Verfassungsänderung am Widerstand der Unions-Fraktion. Nun einigten sich die drei großen Parteien in Berlin.

Im Umkehrschluss bedeutet dieser Durchbruch, dass die Arge im Landkreis zunächst weiterarbeiten kann. Nach Meinung von Reiner Kaminski wird es bis zur geplanten Grundgesetzanpassung keinen Leerlauf geben: "Nach meinem Verständnis gehe ich davon aus, dass wir die Arbeit fortführen können. Für die Arbeit mit dem Klienten wird sich nichts Grundsätzliches ändern. Dagegen werden in der Organisation zwischen Landkreis und Arbeitsagentur ein paar Korrekturen vorgenommen werden müssen." Ob die Kompetenzaufteilung und die Finanzierung (derzeit beteiligt sich der Landkreis mit 12,6 Prozent an den Arge-Kosten) Bestand haben, müsse abgewartet werden. Noch vor der Sommerpause soll der Gesetzestext verabschiedet werden. Zum 1. Januar 2011 dürfte er in Kraft treten.

Reiner Kaminski sieht die Arbeit der Arge nicht nur gesichert, sondern auch auf einem guten Weg: "Wir haben uns 2005 ganz bewusst entschieden, eine Arge zu gründen, um als Landkreis die überregionalen Strukturen der Arbeitsagentur zu nutzen. Es war eine richtige Entscheidung, auch wenn noch nicht alles optimal läuft." Insgesamt bewertet er die geleistete Arbeit nach einer der einschneidendsten Sozialreformen als gelungen. Die Nähe des Hamburger Arbeitsmarktes helfe, Langzeitarbeitslosen eine Perspektive zu geben.

"Wäre das Grundgesetz nicht geändert worden, hätten wir bei null anfangen müssen", sagt Reiner Kaminski. Die gebündelten Arge-Aufgaben hätten wieder geteilt werden müssen - in Arbeitsagentur und Sozialhilfestelle des Landkreises. Mehr Personal, mehr Räume, weitere EDV hätte diese Entscheidung für den Kreis bedeutet. Mal davon abgesehen, dass auch Antragsteller zwei Beschwerde- und Beratungsstellen vorgefunden hätten. "Insofern kann ich die Entscheidung nur begrüßen, das Grundgesetz zu ändern", sagt der Amtsleiter.