Neu Wulmstorfer Archiv: Vor 100 Jahren war ganz genau vorgeschrieben, welche “Vergehen“ der Kinder mit wie vielen Schlägen bestraft wurden.

Neu Wulmstorf. Schule vor 100 Jahren. Das war die Zeit, als Jungen noch mit sechs Stockschlägen auf den Hintern bestraft wurden, wenn sie sich nach Meinung des Lehrers auf dem Schulweg flegelhaft benommen hatten. Das war auch die Zeit, als bis zu 70 Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren zusammen in einer Klasse die Schulbank drückten. Und als im Zeugnis noch Noten für Betragen, Aufmerksamkeit, Fleiß und Ordnungsliebe standen - in der Hierarchie noch wichtiger als Schreiben und Rechnen.

Wie die Schule in das heutige Neu Wulmstorf kam, das dokumentiert die Ausstellung "Was Hänschen nicht lernt...- Schule im Spiel der Zeit" des Gemeindearchivs, die am morgigen Donnerstag eröffnet wird. Gemeindearchivarin Dr. Dagmar Müller-Staats holt dazu Schätze aus dem verschlossenen Rathaus-Magazin hervor: Fotos von längst verschwundenen Dorfschulen. Oder das Schreckensbuch aus der Elstorfer Schulchronik, das Strafverzeichnis für Buben und Mädchen. Dazu kommen Utensilien einer Privatsammlerin aus Neu Wulmstorf: Schulbücher aus der Kaiserzeit, Griffel und Tintenfässer.

Heute, sagt Dagmar Müller-Staats, können Kinder gar nicht genug davon hören, wenn sie aus dem berüchtigten Strafverzeichnis der Elstorfer Dorfschule von 1890 vorliest. Obwohl die Zuckertüte zur Einschulung, so hieß die Schultüte für Abc-Schützen früher, laut einer Sage aus dem Sächsischen an einem Baum im Keller des Lehrers wuchs, war der Alltag im Klassenzimmer vor 120 Jahren kein Zuckerschlecken. Pädagogen prügelten den Schülern Disziplin ein. Den Jungen auf den Hintern, den Mädchen auf die Hand. Wer beim Rauchen erwischt wurde, bekam vier Stockschläge. Scherze auf Kosten des Lehrers waren schmerzhaft: fünf Stockschläge, wer "Dummheiten an die Tafel auf dem Namen des Lehrers" schrieb. Vergleichsweise harmlos war da das Stehlen von Äpfeln aus anderer Leute Gärten - nur drei Stockschläge. Und selbst in die Freizeit reichte die Macht des Lehrers: Drei Stockschläge, wer er meinte, seine Schüler hätten sich sonntags auf der Straße rüpelhaft benommen.

Es dürfte wohl das Jahr 1661 gewesen sein, als die "Lüneburger Reiter" die Schule in das heutige Neu Wulmstorf brachten. Die Boten des Landesherrn ordneten an, Lesen und Schreiben zu unterrichten. Pastoren, Küster oder Handwerker übernahmen diesen Job. Mathematik galt anfangs offenbar als nicht so wichtig: "Es gab Lehrer, die sogar Rechnen können", heißt es in der Elstorfer Schulchronik.

Die Wiege der Neu Wulmstorfer Schullandschaft liegt in Elstorf. Der Unterricht war anfangs Sache der Kirche. So entstanden die ersten Schulen im Küsterhaus in Elstorf und in Wulmstorf, das zum Kirchspiel Elstorf gehörte. Das Ur-Schulhaus in Wulmstorf ist schriftlichen Aufzeichnungen zufolge 1901 abgebrannt. Rade und Mienenbüttel hatten eine eigene Dorfschule, die erst 1970 aufgelöst wurde. Auch Rübke hatte eine eigene Schule, an drei wechselnden Standorten an der Buxtehuder Straße. "Nach der Flut 1962", sagt Dagmar Müller-Staats, "verließen viele Menschen das Dorf, und die Schule wurde 1965 aufgelöst."

Neu Wulmstorf, heute das Zentrum der Gemeinde, kam erst 1895 zu einer eigenen Schule. Damals in einem Gebäude in der Schifferstraße, schräg gegenüber dem "Dorfkrug". Zuvor mussten sich die Neu Wulmstorfer Kinder die Schule im Nachbardorf Wulmstorf besuchen - und zwar zu Fuß. "Damals war der Wulmsberg deutlich höher", weiß die Gemeindearchivarin. Er sei erst später für den Straßenbau abgetragen worden. "Die Kinder", so Dagmar Müller Staats, "mussten im Winter richtig über Schneeberge rüberstapfen."