In der Fahrschule Hansen unterrichtet die 29-Jährige alles - vom Motorrad übers Auto bis zum Lastwagen fahren. Vor allem Frauen kommen gern zu ihr.

Harburg. "Da vorne wird's gleich eng", sagt Nadine Oestreich (29). Alexander Jensch (26) nickt. "Das sage ich meinen Schülern auch immer", antwortet er, bremst ab und lenkt den Zwölf-Tonner durch die Kurve. Seine Beifahrerin schaut in den Außenspiegel, sieht zu, wie das hintere Rad nur wenige Millimeter am Bordstein entlang rollt. "Gut gemacht", lobt die Junior-Chefin der Fahrschule Hansen ihren Kollegen.

"Manchmal fahren wir Fahrlehrer zusammen", erklärt Nadine Oestreich, "um uns über die Strecken in Harburg auszutauschen, uns gegenseitig Tipps zu geben." Eine Frau als Fahrlehrerin, das ist heute eigentlich nichts Besonderes mehr. Dass eine Frau vom Mofa bis zum 40-Tonner alle Fahrklassen unterrichtet schon. In Harburg ist Nadine Oestreich sogar die einzige, die alles kann.

"Musstest du den Beruf erlernen weil dein Vater die Fahrschule hat?" wird Nadine Oestreich oft gefragt. Dann schüttelt sie nur den Kopf, "nein das ist mein Traumberuf, ich möchte nichts anderes machen." Ihre Augen leuchten, wenn sie das sagt.

Alle 45 Minuten mit einem anderen Menschen unterwegs sein, mal in einem Pkw, auf einem Motorrad, in einem Lkw oder sogar einem Bus, das findet sie unglaublich abwechslungsreich. Das ihr Dienst dabei oft von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr abends geht, nimmt sie in Kauf. "Mein Vater war erst Fahrlehrer in der Fahrschule, seit zehn Jahren ist er der Besitzer, ich wusste, was auf mich zukommt."

Den ganzen Tag nur im Büro sitzen, das könnte sie nicht. Nadine Oestreich schaut aus dem Lkw-Fenster. "Schauen Sie, wir schön das ist", sagt sie und zeigt aufs Wasser. Gerade ist die Sonne durch die dichten Wolken gebrochen. Hier im Harburger Hafen, auf einem Parkplatz parkt der Lkw der Fahrschule, ein Mercedes Atego. "Hier ist genügend Platz für einen 18 Meter langen Wagen", lacht sie.

Nadine Oestreich machte nach der Realschule eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Den Führerschein Klasse A, B und C hatte sie damals schon in der Tasche. "Ich wollte auch die großen Brummer fahren können", erzählt sie. Aber nur Hobby-Fahrerin sein, das war ihr zu wenig. Sie wollte auch unterrichten.

Im Oktober 2001 meldete sie sich im Verkehrs-Institut in Bielefeld an, machte die Ausbildung zur Fahrlehrerin Klasse B. "Wir waren fünf Frauen von insgesamt 30 Teilnehmern", erinnert sie sich. 2005 drückt sie wieder die Schulbank, lässt sich zur Motorrad-Fahrlehrerin ausbilden, zwei Jahre später zur Fahrlehrerin Führerscheinklasse C, Lkw. Zwei Monate dauerte der Kursus. Am Ende machten zwei Frauen von mehr als 30 Teilnehmern den Abschluss. Nadine Oestreich war eine von ihnen. "Um zu üben, bin ich mit dem Lastwagen manchmal nach Bremen gefahren - mit einer Freundin zum Shoppen", erinnert sie sich. Was ihr jetzt noch fehlte: Die Fahrlehrererlaubnis für die Führerscheinklasse D, Bus. "Die habe ich letzten Herbst gemacht", so die 29-Jährige.

Wie die Leute reagieren, wenn sie hinter dem Lenkrad eines 40-Tonners die junge Frau sitzen sehen? Nadine Oestreich grinst: "Viele gucken erst mal irritiert", sagt sie. "Einmal habe ich einen Fahrer neben seinem Lastwagen stehen sehen und gefragt, ob ich helfen kann. 'Park mir den doch mal ein', hat er ironisch geantwortet.", so Nadine Oestreich. "Das habe ich dann gemacht." Über das verdutzte Gesicht kann sie heute noch lachen.

Von den männlichen Schülern werde sie akzeptiert. "Obwohl einige Lkw-Schüler anfangs denken: 'Ach bei Nadine kann ich machen, was ich will.' Aber das lassen sie dann ganz schnell sein", betont die Fahrlehrerin.

Trotzdem: Nadine Oestreich bringt viel Geduld mit und pädagogisches Wissen. Einen ihrer Schüler anzuschreien, wie es auch heute noch in manchen Fahrschulen passiere, das komme für sie nicht in Frage - weder eine Fahranfängerin noch einen angehenden Berufskraftfahrer.

Frauen, die den Bus oder Lkw-Führerschein machen wollen, haben sich bisher wenige angemeldet. Das sei immer noch eine Männerdomäne.

In der Klasse A sieht das schon anders aus: Und einige Frauen kommen extra ihretwegen. "Ich habe ja auch nicht genug Kraft, ein Motorrad auf den Hauptständer aufzubocken", erklärt sie, "dafür habe ich einige Tricks gelernt und die gebe ich gerne weiter." Das hat sie ihren männlichen Kollegen voraus.

Der schönste Erfolg für sie: "Wenn Schüler wieder kommen, nachdem sie mit 16 den A 1, den 125er-Motorrad-Führerschein, gemacht haben, um den Motorradführerschein A anzuschließen, dann weiß ich, dass ich etwas richtig gemacht habe."