Anna wartet nicht auf den Mai. Ihr Wonnemonat ist in diesem Jahr der Februar. Ich traf sie gestern bei Ihrem Morgenspaziergang durch die Winterlandschaft.

Sie sah sehr zufrieden aus, strahlte mich an. Es sei ihr eine Lust, das Auto stehen zu lassen, sich einfach nur mal mit der Natur zu befassen. Viel ruhiger würde sie das machen, sie beschäftigt sich mit Lesen, Nachdenken, Schnee fegen. Manche Dinge seien ja schon beinahe aus ihrem Leben verschwunden gewesen: Schnee fegen. Eis kratzen. Sand streuen. Und außerdem kämen nun endlich mal diese wirklich guten Stiefel mit extra dicker Profilsohle zum Einsatz.

Man muss wissen: Anna ist das, was wir unter Karrierefrau verstehen. Guter Job, tolle Chancen, perfekte Kleidung, immer auf dem Sprung zum nächsten Aufstieg. Im Februar nimmt sie sich frei, jedes Jahr. Mal geht es nach Madeira, der Karneval in Venedig stand schon auf dem Programm. Oder Wellness im Superhotel. In diesem Jahr also die Winterwonnen der Nordheide. Bewegt sich da etwas? Entdeckt Anna andere Seiten an sich? Anna schreibt auf, was sie jeden Tag erlebt. Ihre Geschichten sind Beobachtungen des Alltäglichen. Sinnliche Erfahrungen, die sie bei der Tagesgestaltung macht. Der Duft der ersten Tasse Kaffee, der langsame Gang um den Dorfteich, der Genuss ihrer Urlaubszeit zu Hause. Sie freut sich schon auf ihren nächsten Wonnemonat und meint nicht den Mai.