Wenn Senioren auf spiegelglatten Wegen ausrutschen, drohen ihnen Knochenbrüche. Die können lebensbedrohlich sein.

Harburg/Neu Wulmstorf. "Bei diesem Wetter kann man froh sein, wenn man nette Nachbarn hat, die einem helfen", sagt Inge Hellfayer (87), schiebt die Gardine beiseite und schaut in ihren Garten hinaus. Gut 15 Zentimeter hoch liegt der Schnee. Was für Kinder ein großer Spaß, ist für alte Menschen wie Inge Hellfayer ein Albtraum. "Seit Wochen war ich nicht mehr bei meinem Vogelhäuschen im Garten", so die Neu Wulmstorferin.

Die Nebenstraßen in dem Ort sind wie überall im Landkreis Harburg und in Harburg vereist, die Gehwege zum Teil spiegelglatt. Die Krankenhäuser sind überfüllt, Chirurgen operieren rund um die Uhr: Handgelenk-, Arm- und Beckenbrüche. Meteorologen sind sich einig: Das ist der härteste Winter seit Jahren.

Besonders alte Menschen leiden unter den extremen Witterungsverhältnissen. "Ich traue mich kaum noch allein vor die Tür", erzählt Inge Hellfayer. Die Rentnerin hat eine Knie- und Hüftprothese - und große Angst zu stürzen. "Aber ich habe Glück, meine Familie wohnt in der Nähe." Sonnabends holt ihre Tochter sie zum Einkaufen ab, dann besorgt sie Vorräte für die ganze Woche. Zum Arzt oder Friseur fährt sie mit dem Taxi. "Das sind jeweils zwölf Euro hin und zurück, ganz schön teuer auf Dauer. Aber die Bushaltestellen sind oft nicht geräumt und beim Aussteigen auf eine Eisplatte treten - das traue ich mir nicht zu." Auch den Gehweg vor ihrem Haus muss sie räumen, aber das übernehme zum Glück ihre Nachbarin für sie. "Ich kenne aber auch Damen, die trauen sich gar nicht mehr raus", so Inge Hellfayer.

"Für alte Menschen ist das Wetter eine Katastrophe", betont Karl-Heinz Bredow (68) erster Vorsitzender der Harburger Senioren-Delegiertenversammlung. Die Stadt-Verwaltung habe viel zu spät reagiert, sie hätte viel früher Streugut nachbestellen und die Straßen und Gehwege räumen müssen. "Der Hamburger Senat hat die alten Menschen im Stich gelassen", so Bredow.

"Wenn ich jetzt falle, bin ich ein Pflegefall", diesen Satz hört Karl-Heinz Bredow in diesen Tagen oft von älteren Harburgern. Die Konsequenz: Sie gehen kaum noch vor die Tür. Kein Wunder: Alte Menschen können einen Sturz nicht mehr abfedern.

Diejenigen, die sich eine Taxifahrt nicht leisten können, sind auf ihre Familienangehörigen und Nachbarn angewiesen. Arztbesuche werden abgesagt oder verschoben, mit zum Teil schwerwiegenden medizinischen Folgen. Auch Siegfried Hube (79) aus Harburg geht nur noch für die wichtigsten Besorgungen aus dem Haus. Gestürzt sei er noch nicht, bei der Glätte nehme er immer seine Krücken mit, die geben ihm wenigstens ein bisschen Halt.

Auch im ländlichen Bereich sieht es nicht besser aus. "Doch bei uns sind die alten Menschen noch sehr gut vernetzt", so Hans Dittmar, Pastor der Lutherkirchengemeinde in Neu Wulmstorf. Anrufe, dass alte Menschen ohne Lebensmittelvorräte zu Hause sitzen und sich nicht mehr raustrauen, habe er noch nicht bekommen. Familienangehörige und Nachbarn kümmern sich, übernehmen die Versorgung.

Auch Marlene Henzes Sohn ruft sie jeden Donnerstag an und fragt, was er für sie einkaufen soll. Die 73-Jährige ist vor vier Jahren aus ihrem Haus in eine betreute Wohnanlage Am Marktplatz in Neu Wulmstorf gezogen. Zum Mittagessen geht sie in das nah gelegene Altenpflegeheim. "Aber schon der kurze Weg dort hin ist oft vereist, und ich rutsche mit meinem Gehwagen weg", sagt sie.

"Wir raten vielen unseren Bewohnern bei diesen Wetterverhältnissen nicht raus zu gehen", erzählt Wolfgang Korn, Geschäftsführer des DRK Seniorenpflegeheims Eichenhöhe Wolckenhauer-Bahr. "Aber die Zimmer haben große Balkone, auf denen man frische Luft schnappen kann."

Natürlich vermissen viele Bewohner ihre Spaziergänge, aber jeder weiß auch, dass das schlechte Wetter nur vorübergehend anhält. Das sieht Inge Hellfayer ähnlich. "Sicher ist es nicht schön, man fühlt sich wie eingesperrt." Sie liebt es raus zu gehen, fährt sogar manchmal für Spaziergänge in die Heide. Aber die Laune lässt sie sich deshalb nicht verderben. "Ich kann mich gut beschäftigen. Ich lese, mache Rätsel." Und irgendwann muss es ja wieder Frühling werden.