Seit 25 Jahren leitet sie die Musikschule Winsen, das wird am Montag gefeiert. Im Gespräch mit Abendblatt-Redakteur Nico Binde spricht sie über kommerziali-sierte Volksmusik und den Berliner Rapper Bushido.

Hamburger Abendblatt:

Frau Dräger-Meier, welches Musikstück hängt Ihnen zu den Ohren raus, weil Sie es so oft mit Ihren Schülern üben mussten?

Christiane Dräger-Meier:

Ach, eigentlich gar keins. "Für Elise" von Beethoven möchte fast jeder Schüler spielen, aber satt habe ich es deswegen nicht. Wenn ich allerdings über Jahrzehnte Richard Clayderman und seine seichten Kompositionen hören müsste - das würde mich fertig machen.

Abendblatt:

Haben Sie im Gegenzug einen Komponisten, von dem Sie nie genug kriegen?

Dräger-Meier:

Früher habe ich Chopin geliebt. Heute finde ich Brahms spannender - der Aufbau, die komplexen Strukturen...

Abendblatt:

Sie leiten jetzt 25 Jahre die Winsener Musikschule, was zeichnet einen guten Musiklehrer aus?

Dräger-Meier:

Das Haupt-Augenmerk sollte auf dem Menschen liegen, nicht nur auf der Musik. Unterricht nach einem starren Programm finde ich ganz furchtbar. Viel wichtiger ist, zu beobachten, was für Menschen vor mir sitzen, wie sie sich entwickeln, und dabei Schlüsselkompetenzen wie Konzentrationsvermögen und Ausdauer erwerben. Erziehung zur Musik ist auch gleichzeitig Erziehung mit Musik!

Abendblatt:

Umgekehrt - was macht einen guten Musikschüler aus?

Dräger-Meier:

Er muss Lust und Bereitschaft mitbringen, mehrmals in der Woche zu üben. Und er muss akzeptieren, dass es nicht immer Spaß macht. Dann reift vielleicht die Erkenntnis, dass Erfolge, die über längere Zeiträume erarbeitet sind, befriedigender wirken, als solche, die einem in den Schoß fallen.

Abendblatt:

Dennoch kommt bei vielen Schülern der Moment, in dem sie alles hinschmeißen möchten. Was sollten Eltern tun - Druck ausüben oder hinnehmen?

Dräger-Meier:

Über einen gewissen Zeitraum sollte man versuchen, sie bei der Sache zu halten. Solche lustlosen Phasen dauern oft nur ein paar Monate, und dann geht es gut weiter! Aber grundsätzlich sollte man seine Kinder nicht zwingen, dabei zu bleiben.

Abendblatt:

Auch wenn die Kinder dabei sind, ihr Talent wegzuschmeißen?

Dräger-Meier:

Es ist schwierig, denn heute gibt es viel mehr Freizeitreize als früher, die zum Teil schnelle Erfolge versprechen, und zwar per Knopfdruck. Auch die schulische Belastung ist höher als noch vor ein paar Jahren. Grundsätzlich sollten Eltern versuchen, zu filtern. Ihr Kind nicht mit zu vielen Freizeitbeschäftigungen zu überhäufen, sondern sich auf ein oder zwei Sachen konzentrieren. Bei zu vielen Aktivitäten besteht immer die Gefahr, dass man an der Oberfläche bleibt.

Abendblatt:

Und wie führt man Kinder am besten an Musik heran? Klanghölzer oder gleich das Klavier?

Dräger-Meier:

Bei uns geht es ab zwei Jahren los mit den Musikzwergen - Eltern und Kinder lernen spielerisch, Musik zu machen. Denn das gemeinsame Musizieren ist im Lauf der Jahre in vielen Familien verloren gegangen.

Abendblatt:

Ab welchem Alter sollten Kinder ein Instrument lernen?

Dräger-Meier:

Ich halte ab sechs Jahre für sinnvoll. Dann haben die meisten Kinder schon ein Gefühl für laut-leise, hoch-tief und schnell-langsam entwickelt. Ganz Entschlossene sagen nach unseren Elementar-Kursen auch, welches Instrument sie spielen wollen.

Abendblatt:

Ach ja?

Dräger-Meier:

Ja, ich kann mich an ein Mädchen erinnern, das schnurstracks auf die Harfe zumarschiert ist. Die Eltern waren mäßig begeistert, denn sie mussten sich - abgesehen vom hohen Anschaffungspreis - für das Instrument ein größeres Auto zulegen. Heute ist die junge Dame Harfenpädagogin.

Abendblatt:

Was machen die Unentschlossenen?

Dräger-Meier:

Für diese - größere - Gruppe bieten wir das Instrumentenkarussell an. Ein Jahr lang können die Kinder bis zu 13 Instrumente ausprobieren - und sich danach entscheiden.

Abendblatt:

Welche Instrumente beherrschen Sie eigentlich?

Dräger-Meier:

Seit ich acht bin, spiele ich Klavier. Gitarre und Alt-Blockflöte habe ich mir autodidaktisch beigebracht. Mein Zweitinstrument im Studium war die Geige. Wobei ich mit meinem Geigenspiel jede Feier beenden könnte. (lacht)

Abendblatt:

Fehlt eigentlich nur noch Schlagzeug, oder?

Dräger-Meier:

Percussion-Musik finde ich grandios. Live höre ich mir das gerne an.

Abendblatt:

Und welche Musik können Sie überhaupt nicht ausstehen?

Dräger-Meier:

Am schlimmsten finde ich kommerzialisierte Volksmusik - mit Pop-Rhythmen unterlegt. Grauenhaft!

Abendblatt:

Dann lassen Sie uns zu etwas Schönerem kommen: Ihr tollster Moment als Musikschul-Leiterin?

Dräger-Meier:

Ich freue mich immer, wenn ein Schüler groß rauskommt, wie etwa Christina Fassbender, die mittlerweile Solo-Flötistin an der Komischen Oper Berlin ist. Ein anderer beglückender Moment: Bei einem unserer Kurse mit behinderten Kindern gab es einen Teilnehmer der noch nie gesprochen hat. Bei uns fing er erst an zu singen - dann zu sprechen.

Abendblatt:

Gab es Situationen, in denen Sie alles hinschmeißen wollten?

Dräger-Meier:

Die gab es durchaus, aber das verdrängt man ja gern. Schwierig war es etwa zu Beginn meiner Schulleitungstätigkeit, als wir für die Musikschule um politische Akzeptanz kämpfen mussten. Damals mussten wir jahrelang um höhere Zuschüsse kämpfen, um nicht nur für Besserverdienende, sondern auch für finanziell schwächere Bevölkerungsschichten kostenreduzierten Unterricht anbieten zu können, was uns extrem wichtig war.

Abendblatt:

Sagen Sie mal, kennen Sie eigentlich Sido, Bushido und Tokio Hotel?

Dräger-Meier:

Tokio Hotel sind doch diese geschminkten Jungs aus Magdeburg, richtig? Bushido und Sido habe ich noch nie gehört.

Abendblatt:

Zwei Berliner Rapper, die bei jungen Menschen ziemlich hoch im Kurs stehen. Was halten Sie von zeitgenössischer Popmusik?

Dräger-Meier:

Ich gehe gern zu Konzerten jeder Art. Das Reeperbahn-Festival zum Beispiel finde ich toll, wobei mir da einige Konzerte wirklich zu laut waren. Insgesamt muss mich Musik fesseln und darf nicht zu schlicht sein, dann werde ich müde. Kennen Sie die Jazz-Diplomkonzerte der Hamburger Musikhochschule?

Abendblatt:

Nein. Sind die gut?

Dräger-Meier:

Die sind toll und begeistern mich immer wieder.