Kreisarchäologe Dr. Jochen Brandt will herausfinden, was sich in dem mehr als 500 Jahre alten, runden Gefäß befunden hat.

Harburg/Winsen. Einen rätselhaften Fund hat ein Grabungsteam des Helms-Museums vergangenen Sommer in der Winsener Altstadt gemacht: Das rötlich-braune Teilstück eines runden Gefäßes stammt aus dem 14. oder 15. Jahrhundert und ist ein sogenanntes Herdopfer. Unsere Vorfahren im Mittelalter wollten mit diesem Zauber Schaden von ihren Häusern abwehren. "Da haben wir ein Stück Volksmagie zu fassen bekommen", ist Dr. Jochen Brandt (41) fasziniert. Der Archäologe am Helms-Museum will jetzt dem Zauber sein Geheimnis entlocken. In der Forschung ist so gut wie gar nichts über Herdopfer in der Region bekannt. Offen ist, gegen was genau eigentlich das Gefäß, das unter einer Herdstelle versteckt war, schützen sollte. Die Hexenverfolgungen begannen in etwa zur der Zeit, aus der die runde Scherbe stammt. Auch ein Abwehrzauber gegen die Pest sei denkbar.

Unbekannt ist auch der Inhalt des Zaubergefäßes: Mit welchen Zutaten wollten unsere Vorfahren das Übel abwenden? Jochen Brandt will das Herdopfer aus der Winsener Altstadt bis aufs Kleinste unter die Lupe nehmen lassen. Ein Botaniker soll nach Pollen und Großresten wie Körnern suchen, ein Chemiker die Zusammensetzung analysieren. Der Archäologe selbst sucht in der wissenschaftlichen Literatur nach Rezepturen für die Schadensabwehr.

Einige tausend Scherben aus dem Mittelalter hat Jochen Brandt zurzeit in seinem Büro liegen - gewaschen, handschriftlich mit einer Inventarnummer versehen und in Plastiktüten verpackt. Es handelt sich um die Funde der Ausgrabung vom vergangenen Sommer auf dem Grundstück Marktstraße 13 in der Winsener Altstadt. Der Archäologe schreibt gerade seinen Abschlussbericht. In einem Vortrag am 16. Februar in der Galerie Juraschek in Winsen wird er die Erkenntnisse öffentlich vorstellen. Dann wird er sagen, dass die erste archäologische Grabung in der Winsener Altstadt überhaupt "eine Art Guckfenster" in die Stadtgeschichte gewesen sei. Die Forscher vom Helms-Museum wissen jetzt, dass die Parzellierung des heutigen Winsen schon seit 600 oder 700 Jahren besteht. "So wie Winsen heute aussieht", sagt Jochen Brandt, "das beruht auf dem Stadtbild aus dem 14. oder 15. Jahrhundert."

Welchen Geheimnissen will der Archäologe 2010 im Landkreis Harburg noch auf die Spur kommen? Auch nach mittlerweile vier archäologischen Grabungen gibt das sächsische Gräberfeld bei Elstorf/Daerstorf der Forschung immer noch Rätsel auf. Deshalb wird Jochen Brandt voraussichtlich von Juli bis Ende Oktober mit einem Grabungsteam dorthin zurückkehren. Der Friedhof stammt aus den Jahren 650 bis 900. In der nahe gelegenen Siedlung hatten die Archäologen slawische Keramik gefunden. "Nach dem heutigen Forschungsstand gehört die da eigentlich nicht hin", sagt Jochen Brandt. "Mal sehen, ob wir Slawen in den Gräbern finden."

Eigentlich gilt die damalige Grenze zwischen der sächsischen und slawischen Bevölkerung als undurchlässig. Das Helms-Museum könnte Hinweise finden, dass der sogenannte "limes saxoniae" weitaus durchlässiger war als bisher angenommen. Indiz dafür ist ein 2007 entdeckter Pferdeschädel, der einst im Arrangement mit den Vorderbeinen des Tieres vergraben worden war. "Das ist eine Opfersitte aus der Zeit", sagt Jochen Brandt, "aber nicht der Sachsen, sondern aus Osteuropa oder Skandinavien."

Auf verschollene Überbleibsel unserer Vorfahren könnte Jochen Brandt bereits im Frühjahr nahe dem Amtshaus in Moisburg stoßen.

Erst wenn der Archäologe das Erdreich untersucht hat, darf das geplante Bauvorhaben starten. Die Grabung ist zumindest vielversprechend: Auf dem Grundstück gegenüber dem Amtshaus lag einst der bäuerliche Hof, der den Vogt in Moisburg versorgt hat.