Jörg von Prondzinski ist Spezialist für die kuriosen Kleinigkeiten zwischen den Elbarmen.

Wilhelmsburg. Getto, die Bronx Hamburgs, Klein-Anatolien, Hafenerweiterungsfläche, ländliche Idylle oder auch das künftige Szeneviertel - Wilhelmsburg trägt viele Etiketten. Auf seinen Touren will das Freizeithaus Kirchdorf-Süd das "wahre und ungeschminkte Gesicht" der Elbinsel zeigen. Geschichte, Hintergründe und Zusammenhänge erklären. Im Linienbus nahm Stadtteilführer Jörg von Prondzinski am Sonnabend 14 Männer und Frauen mit auf Entdeckungstour - und zeigte jenseits der Haltestellen Mikrowelten, die kaum jemand kennt. Das Abendblatt war bei dem "Doppelsprung über die Elbe" mit dabei.

Die eigenwillige Führung im Linienbus mit dem prägnanten Namen "Die 154" beginnt in Harburg - etwas irritierend zunächst einmal im 153er-Bus. Dieser fährt durch den Harburger Binnenhafen. Jörg von Prondzinski, ein gebürtiger Wilhelmsburger und Biologe, ist Spezialist für die kuriosen Kleinigkeiten am Wegesrand, die eigentlich jeder übersieht. So lenkt er den Blick nicht auf die gläserne Wirtschaftsarchitektur des wohl bald eigenen Stadtteils, sondern auf die Wasserkante am Kanalplatz: "Hier ist eines der wenigen ungeschützten Hafenbecken, in das man direkt mit dem Auto fahren kann", witzelt er. Pädagogisch Wertvolles lernen die Teilnehmer seiner Tour aber auch: Der Binnenhafen habe diesen Namen, weil er ein Dockhafen sei. "Er ist nicht tideabhängig wie der Hamburger Hafen", so Jörg von Prondzinski, "es ist immer gleich viel Wasser drin."

Mit dem Bus "springt" die kleine Reisegruppe zum ersten über die Elbe - über die Süderelbe ins Herz von Wilhelmsburg. Hier wechseln die HVV-Bustouristen auf die Linie 154. Auf der alten napoleonischen Heerstraße, der Georg-Wilhelmstraße, geht es zum Reiherstieg, einem natürlichen Elbarm. "Hier kann man die Inselhaftigkeit Wilhelmsburgs erleben", sagt der Stadtteilführer süffisant, "das gelingt sonst eher selten." Hafenzäune versperren in der Regel die Sicht aufs Wasser. Jörg von Prondzinski geht heute davon aus, dass die Internationale Gartenschau 2013 den Inselcharakter Wilhelmsburgs nicht wirklich präsentieren könne. Die Gartenschau, glaubt der Einheimische zu wissen, bekomme wohl nicht das gewünschte Grundstück, ein "grünes Ärmchen ans Wasser".

An Häusern aus der Gründerzeit vorbei geht die Entdeckergruppe zur etwas versteckt liegenden riesigen Aurora-Mühle. Früher hatte der Mehlhersteller "Diamant" sie betrieben, heute gehört sie der VK Mühlen AG. Selbst Einheimischen ist der öffentliche Weg um die gewaltigen Silos herum kaum bekannt. Schade, denn die alte Fabrikantenvilla mit ihren märchenhaften Türmchen vor der Mehlfabrikkulisse bildet ein fantastisches Fotomotiv.

Weiter geht es an riesigen Containerbergen vorbei - auch dafür steht Wilhelmsburg. "In Hamburg kann man Container mit am billigsten auf der Welt lagern", sagt Jörg von Prondzinski. Am Gelände der Gartenschau deutet die Spezialist für Kurioses auf die Kapelle des alten Wilhelmsburger Friedhofes: Früher sei die Aussegnungshalle das Domizil der ukrainisch-katholischen Gemeinde gewesen.

Der Bus fährt an der sogenannten Solarsiedlung vorbei. Hier wohnt Hamburgs Wissenschaftssenatorin Dr. Herlind Gundelach. Jörg von Prondzinski zeigt sich davon überzeugt, dass der Politimport der Hamburger CDU wohl aus Unkenntnis nach Wilhelmsburg gezogen sei. "Solarsiedlung hat wohl gut geklungen", sagt er. "Frau Gundelach hat sich bestimmt in der Hamburger Vorurteilslandschaft nicht so gut ausgekannt."

Mit dem HVV machen die Elbinselreisenden den zweiten Sprung über die Elbe - über die Norderelbe nach Rothenburgsort. Versteckt hinter den gewaltigen Elbbrücken kämpft der kleine Stadtteil bisher vergeblich um Aufmerksamkeit. Er ist nicht mehr Wilhelmsburg - aber eben auch nicht HafenCity. Dabei hat der Stadtteil unter den Brücken prominente Einwohner gehabt: Boxer-Legende Max Schmeling habe hier zumindest zeitweise gelebt. Und Sängerin Alexandra ("Mein Freund der Baum"), nach der die Elbpromenade in Rothenburgsort benannt sei.

Nach mehr als drei Stunden endet die Elbinseltour auf der kaum bekannten Essmeile nahe der Bushaltestelle Billhorner Röhrendamm. Vor allem Trucker bilden die Kundschaft in den vier Flachdach-Pavillons mit dem zweifelhaften architektonischen Charme der 70er-Jahre. Doch Jörg von Prondzinski wäre nicht einer der ungewöhnlichsten Stadtteilführer Hamburgs, hätte er nicht noch zum Abschluss eine Überraschung parat. Die Elbinselentdecker kehren nicht in eine schnöde Currywurstbude ein, sondern im "Bistro Karolinka". Hier gibt es neben Hähnchen oder Schnitzel Speisen und drei Biersorten aus Polen - echt international "wilhelmsburgisch" eben.

Sein neues Tourenprogramm 2010 wird das Freizeithaus Kirchdorf-Süd voraussichtlich im Februar im Internet veröffentlichen.

www.wilhelmsburg-touren.de