Rund 20 Arbeitslose Jugendliche sollen den einmaligen Besan-Ewer wieder flott machen. Der Frachtsegler hat eine bewegte Geschichte.

Winsen. Lange sah es schlecht aus für das Frachtensegler-Projekt im Stöckter Hafen. Nun kann die gemeinnützige Quäker-Häuser-Gesellschaft aus Buchholz ihr Schiffskonzept doch umsetzen. Geschäftsführer Uwe Hillebrecht einigte sich kürzlich mit dem bisherigen Schiffseigner Bernd Schmiel und kaufte den Besan-Ewer "Eule von Tollerort". In den kommenden zwei Jahren werden 15 bis 20 bislang arbeitslose Jugendliche das Schiff von Grund auf überholen. In Zusammenarbeit mit der benachbarten Eckhoff-Werft soll der knapp 19 Meter lange Frachtensegler zu einem Traditionsschiff ausgebaut werden. Touristische Nutzung nicht ausgeschlossen.

"Ich könnte mir Tagestouren mit 25 Personen vorstellen", sagt Uwe Hillebrecht. "In erster Linie freue ich mich aber, dass es überhaupt noch geklappt hat." Immer wieder haperte es am Geld, verschob sich der Projektstart. Doch nun gibt es Planungssicherheit. Das 1895 in Boizenburg vom Stapel gelaufene Schiff gehört den Quäkern. Für geschätzte 50 000 Euro (keine der beiden Seiten will den Preis bestätigen) übernahm die Gesellschaft den Besan-Ewer - und tätigte damit aus historischer Sicht sogar einen Glücksgriff. Denn die "Eule" ist einzigartig.

Wie kostbar dieses Schiff ist, erschließt sich allerdings nicht sofort. Der abgetakelte grüne Zweimaster wirkt unauffällig, dümpelt vernachlässigt im Stöckter Hafenbecken vor sich hin. Ohne Masten und Aufbauten versteckt der Eisen-Ewer seine Reize ziemlich erfolgreich. Doch die "Eule" besitzt eine Geschichte, die ihresgleichen sucht. Und die geht so.

Die "Eule von Tollerort" lief 1895 in der Boizenburger Ernst Niemand Werft als "Melpomene" vom Stapel. Sie ist ein Schiff aus der Region - und ungewöhnlich war sie bereits damals: Der Rumpf bestand aus genietetem Eisen, das langsam die Holzplanken ablöste. Der Plattboden dagegen wurde konventionell aus Holz gefertigt, was beim Auf-Grund-Laufen größere Beschädigungen verhinderte. Heute, 115 Jahre später, ist die "Eule" der letzte erhaltene eiserne Besan-Ewer. Auch das flache, sogenannte Spiegelheck und die Besan-Takelung (Besan wird der kleinere, hintere Mast genannt) findet man auf diesem Schiffstyp selten.

Zu verdanken ist der Erhalt dieses Schmuckkästchens dem Ex-Eigentümer Bernd Schmiel. Der gelernte Flugzeugmotorenmechaniker und spätere NDR-Kameramann verliebte sich 1976 in den Frachtensegler - und kaufte ihn. Damals hieß das Schiff noch "Christina", lag in Wilster und war aus ästhetischer Sicht verhunzt. Als Segelschiff war der 31 Tonnen schwere Kahn nicht mehr zu erkennen. Masten und Segel fehlten. Achtern, also im hinteren Teil, wurden Steuerhaus und Motor aufgeflanscht. Aus dem Frachtensegler war im Lauf der Jahre ein gewöhnliches Motorgüterfahrzeug geworden. Wenngleich mit ungewöhnlicher Besatzung: Denn als sich 1954 niemand anderes für dieses Schiffskleinod fand, wurde der dritte Eigentümer eine Frau. Seinerzeit ein Novum. Die Dame hieß Maria Hasch, sie war die erste Frau, die ein solches Schiff als Kapitänin steuerte.

Bernd Schmiel verwandelte den Ewer wieder in ein Segelschiff. Er baute den 15 Meter großen Mast wieder auf, der 9,5 Meter hohe Besan-Mast folgte. Schmiel gab dem Ewer seine 115 Quadratmeter Segelfläche zurück und rekonstruierte die Aufbauten. "Doch meine erste Fahrt in die Niederlande unternahm ich noch im alten Zustand. Mit meiner Freundin schlief ich im riesigen Frachtraum", sagt Schmiel.

Noch bevor das Schiff wiederhergestellt wurde, verpasste er seinem Schätzchen einen neuen Namen. Denn einen Frauennamen, "nein, den wollte ich nicht. Ich wusste ja nicht, wie viele Frauen ich noch haben würde", erzählt der 70-Jährige. Also erinnerte er sich des Sinnspruchs "Die Eule nimmt, genau wie du, von Tag zu Tag an Weisheit zu". Das gefiel ihm so gut, dass der neue Schiffsname gefunden war: "Eule von Tollerort". Fortan legte er sich nur noch in Bezug auf seine tierische Begleitung fest: Eine Katze war immer mit an Bord.

In mühevoller Kleinarbeit richtete er das Schiff wieder her, mal allein, mal mit Unterstützung von Fachmännern. Er segelte bis nach Helgoland, meistens blieb er aber dem großen Strom, der Elbe, treu. Heimathafen in all den Jahren war Finkenwerder, bis es nicht mehr ging. Denn allein segeln, das ist mit der Eule schwierig. Dafür ist das vier Meter breite und 18,45 Meter lange Schiff zu groß. Zwar ist ein großes Steuerrad "bedienerfreundlich", aber Schmiel musste das Schiff in "solidem, fahrbereitem Zustand" verkaufen. Sein Freund Kevin Axt meint: "Es ist eines der am besten dokumentierten Schiffe, die ich je gesehen habe." Er will die Geschichte in einem Buch bewahren.

Die Quäker-Häuser arbeiten bereits seit Oktober an dem Schiff. Drei Jugendliche werkeln täglich an Deck, fünf Plätze sind zeitgleich zu vergeben. In Kooperation mit der Jugendhilfe des Landkreises soll so in mehreren Etappen die Vorpik mit vier Kojen versehen werden, noch in diesem Jahr sollen Masten und Rigg stehen. "Die dafür vorgesehenen Douglasienstämme aus dem Rosengartener Forst trocknen gerade im Wasser", sagt Uwe Hillebrecht. Das sei so üblich. Später soll auch die Achterkajüte hergerichtet werden. Und noch eine entscheidende Veränderung soll die "Eule" erfahren. "Wir wollen sie wieder in Melpomene umtaufen. Das passt sehr gut", sagt der Quäker-Geschäftsführer.

In der griechischen Mythologie war Melpomene Zeus' Tochter und eine der neun Musen. Sie hat sehr viel Unglück und Leid gesehen und hilft durch ihren Gesang, neue Kraft in den menschlichen Geist zu transportieren. Genau das können die Jugendlichen gut gebrauchen.