Die Fenster sind undicht, der Fußboden ist hin. Torsten Konze soll für seine Wohnung 45 Euro mehr zahlen.

Winsen. Torsten Konze versteht die Welt nicht mehr. Der Hartz-IV-Empfänger aus Winsen traute seinen Augen nicht, als er kürzlich ein Schreiben der Hamburger Anwaltskanzlei Ohnesorge&Siebke aus dem Briefkasten fischte. Inhalt: Eine Mieterhöhung zum 1. Januar 2010. Die Kosten für seine 42-Quadratmeter-Wohnung sollen um 45 Euro steigen, auf 420 Euro. "Eine Unverschämtheit", sagt der 53-Jährige.

Sein Groll kommt nicht von ungefähr. Torsten Konze wohnt im Schweitzer-Viertel, einer vernachlässigten Winsener Plattenbausiedlung. Seit dem Errichten in den 70er-Jahren hat sich wenig getan, was bei einem Blick in die Wohnung des Arbeitssuchenden deutlich wird: Die Linoleumplatten im Wohnzimmer biegen sich nach oben, durch die alten Holzfenster pfeift der Wind, im Bad bildet sich Schimmel. "Und das sind nur die sichtbaren Mängel. Hier wurde jahrelang nichts gemacht. Und dafür soll ich jetzt 45 Euro mehr bezahlen? Das kann ich nicht verstehen", so Konze. Und: In vielen anderen Wohnungen sehe es nicht viel besser aus, aber auch dort wird mehr Geld gefordert.

Für die 189 Quartiere im Schweitzer-Viertel existieren ambitionierte Sanierungspläne, aber die Umsetzung ist strittig. Der Eigentümer, die Berliner Capricornus Investment GmbH Norddeutsche Wohnanlagen, und die Stadt Winsen erzielten bislang keine Einigkeit bei grundsätzlichen Fragen wie der Finanzierung (das Abendblatt berichtete). Laut Expertise sind neun Millionen Euro notwendig, um die Bausubstanz nebst Umfeld auf Vordermann zu bringen. Torsten Weinert, Projektbeauftragter der Eigentümergesellschaft, gab kürzlich zu Protokoll: "Diese Summe halte ich für überzogen." Ein Ende des Konflikts ist vorerst nicht in Sicht, die Sanierungspläne liegen auf Eis.

Umso erstaunlicher mutet es nun für Torsten Konze an, dass der Eigentümer über seine Anwaltskanzlei Mieterhöhungsschreiben verschicken lässt. Zur Begründung werden drei Vergleichswohnungen herangezogen. "Die sind allerdings saniert", wie Torsten Konze sagt. "Diese Wohnungen sind nicht mit meiner vergleichbar. Denn hier wurde noch nichts saniert. Im Gegenteil: Ich habe, als ich vor neun Jahren eingezogen bin, alles selbst gemacht."

Ein Schicksalsschlag brachte den gelernten Kupferschmied damals in die Plattenbausiedlung: "Meine Lebensgefährtin ist gestorben, meine alte Wohnung war dem Sozialamt zu groß. Also bin ich hierher gekommen." Er wusste um den schlechten Ruf des Viertels - Randale, Polizeieinsätze und Ruhestörung seien noch heute an der Tagesordnung. "Aber ich konnte es mir nicht aussuchen", so Torsten Konze.

Doch er will sich nun gegen die Mieterhöhung wehren, zumal er die Missstände der vergangenen Monate protokolliert hat: So war die Gegensprechanlage kaputt, der Fahrstuhl funktionierte nicht, zeitweise gab es kein warmes Wasser. Die Mieterhöhung ist für ihn nicht hinnehmbar.

"Man muss der Erhöhung auch nicht zustimmen", sagt Capricornus-Anwalt Michael Ohnesorge. Er könne sich zum konkreten Fall nicht äußern, unterliege der Schweigepflicht. Doch allgemeine Aussagen könne er tätigen. So seien Wohnungsmängel und ein "Mieterhöhungsangebot" rechtlich voneinander zu trennen. "Der Gesetzgeber lässt es zu, dass mindestens drei Vergleichswohnungen herangezogen werden, um eine Mieterhöhung zu verlangen." Entscheidende Kriterien seien insbesondere Lage, Ausstattung und Schnitt der Wohnung. Einzige Einschränkung: Die Steigerung darf nicht mehr als 20 Prozent der bisherigen Miete betragen. Mängel in den Räumen würden dagegen rechtlich keine Rolle spielen.

Aber, so Ohnesorge, jeder Mieter habe grundsätzlich die Möglichkeit, einer Mieterhöhung zu widersprechen. "Dann entscheidet eben ein Gericht." Zum anderen, sagt der Rechtsanwalt, sei unabhängig von Mieterhöhungsforderungen eine Mietminderung möglich, "wenn erhebliche Mangelerscheinungen die Wohnqualität beeinflussen. Das muss aber jeder Mieter selbst beurteilen", meint der Mietrechtexperte.

Für Torsten Konze steht fest, dass er die neuen Mietforderungen anfechten wird, solange in seiner Wohnung nichts passiert. "Wegen der fehlenden Isolierung und den alten Fenstern habe ich monatlich 140 Euro Nebenkosten. Das sind mehr als drei Euro pro Quadratmeter. Solche Werte sind doch nicht zeitgemäß! Und dafür noch mehr Miete. Das sehe ich nicht ein."

Am 3. Dezember befasst sich der Planungsausschuss auf SPD-Antrag mit dem Schweitzer-Viertel. Dann soll es allerdings lediglich um die Frage gehen, ob das Parkhaus (124 kostenpflichtige Stellplätze) abgerissen oder saniert werden soll.