99 Mitglieder hat die Gruppe. Die Jüngsten sind sieben Jahre alt. Alle schätzen den Zusammenhalt und dass es eine Welt jenseits von Fernsehen und Computerspielen gibt.

Harburg. "Guck mal, was da schwimmt, das sieht aus wie dein Schlafsack - das ist dein Schlafsack!' hast du damals gesagt, weißt du noch?" fragt Thomas Voß (19) und haut sich mit der Hand auf den Oberschenkel. Mirko Bartsch (21) hält sich den Bauch vor Lachen, sagt: "Ja genau. Das war eine tolle Fahrt."

Die beiden sind Mitglieder in der Pfadfindergruppe MCE (Matthias Claudius Eißendorf), oder besser gesagt: dem Stamm, wie es bei den Pfadfindern heißt. Einmal in der Woche treffen sie sich mit den anderen Mitglieder im Gemeindehaus der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Apostelkirche im Hainholzweg in Eißendorf, singen, bereiten die nächsten Aktionen vor, planen ihre Fahrten.

"Jeden Tag eine gute Tat" oder "hinterlasse die Welt besser als du sie vorgefunden hast", diese und anderen Grundsätze hat sich der Gründer der Pfadfinderbewegung Robert Baden-Powell vor über 100 Jahren auf die Fahnen geschrieben. Eine konservative Naturromantik, der nur noch einige ewig Gestrige nachhängen?

Von wegen: 260 000 Pfadfinder soll es in Deutschland geben, davon sind 52 000 im Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder, dem deutschen Dachverband des MCE, organisiert. Der MCE selbst hat 99 Mitglieder. Eine stolze Zahl.

Dabei ist der Stamm in drei Stufen eingeteilt: "Die Sieben- bis Zehnjährigen nennt man Wölflinge, danach kommt man zu den Pfadfindern und ab 16 zu den Range Rovern", erklärt Mirko Bartsch.

Viele von den Pfadfindern und Range Rovern werden zu Gruppenleitern ausgebildet, die sich um die Wölflinge kümmern. Thomas Voß ist so ein Gruppenleiter. "Wir vermitteln den Kleinen spielerisch die Grundsätze und Techniken der Pfadfinder", sagt der Eißendorfer. "Bei der Schnitzeljagd werden zum Beispiel die Waldläuferzeichen erklärt."

Thomas Voß ist seit 2001 Pfadfinder. "Ein Schulfreund hat mich damals mit zu den Wölflingen genommen, und ich war begeistert. Danach bin ich zu den Pfadfindern gekommen, aber meine Gruppe hat sich aufgelöst." Vergessen hat er die Wanderungen und Bibelabende aber nie. "Man sagt: Pfadfinder wird man nur einmal - und bleibt es sein Leben lang", sagt er schmunzelnd. Seit 2004 ist er wieder dabei.

Auf Fahrten und Ausflügen Floße und Brücken bauen, abends am Lagerfeuer Lieder singen: Ein Leben im Einklang mit der Natur ist die eine Seite des Pfadfindertums, die andere: "Wir engagieren uns, versuchen zu helfen, wo wir können", betont Mirko Bartsch. Zum Beispiel bei der alljährlichen Aktion "Hamburg räumt auf".

"Aber wir sind keine Ökos, die jeden technischen Fortschritt ablehnen", betont Thomas Voß und: "Auch wir müssen mit der Zeit gehen, die neuen Medien nutzen, zum Beispiel Videos von unseren Einsätzen drehen oder eine Foto-Story erstellen."

Trotzdem: "Wir wollen die Kinder vor den Fernsehern weg holen", betont Thomas Voß, "ihnen zeigen, dass es auch eine Welt neben Videos und Computerspielen gibt."

Oft sind es die Eltern, die ihre Kinder zum ersten Mal zu den Treffen der Pfadfinder oder auf Fahrten schicken. Die meisten von ihnen sind begeistert und bleiben dabei.

Aber was ist es genau, das heute noch den Reiz ausmacht, Pfadfinder zu werden? "Das Gemeinschaftsgefühl, der Zusammenhalt in der Gruppe", da sind sich Thomas Voß und Mirko Bartsch einig. Pfadfinder halten zusammen, soziale oder religiöse Unterschiede sollen keine Rolle spielen, deshalb tragen auch alle das graue Hemd, und die Tücher um den Hals gebunden. "Und auch, wenn wir zur evangelischen Kirchengemeinde gehören, haben wir muslimische Mitglieder", betont Sven Jörß, mit 37 der älteste in der Runde. "Wer bei den Pfadfindern ist, hat Freunde fürs Leben", betont Thomas Voß, zieht mit dem Finger einen Kreis über den Holztisch.

Und wer mit Sven, Mirko, Thomas und den anderen an diesem Tisch sitzt, meint diese Verbundenheit und Gruppenstärke spüren zu können.

Die Pfadfinder scheinen das zu geben, was heute vielen fehlt: Halt, Orientierung, Struktur.

Dass diese Struktur manche Menschen an die Nazi-Zeit erinnert, ärgert Sven Jörß: "Wir werden manchmal immer noch mit der Hitlerjugend verglichen. Dabei waren die Pfadfinder unter Hitler verboten."

Aber auch, wenn man als Pfadfinder manchmal als uncool belächelt wird, macht das Thomas und den anderen nichts aus. "Die Gruppe gibt einem Selbstbewusstsein", meint Thomas Voß. Das sei besonders nach einer gemeinsamen Fahrt so. "Das sind Erlebnisse, von denen man Monate lang zehrt und an die man sich immer wieder erinnert."