Lennard braucht kein aufwendiges Spielzeug, um Spaß zu haben. An diesem Tag reicht ihm ein dickes rotes Wollknäuel, dass er an einem Stuhlbein im Wohnzimmer seiner Eltern festbindet und dann den Faden quer durch nahezu alle Zimmer des Hauses spannt.

Sinstorf. Eine ganze Zeit lang kann sich der Neunjährige damit beschäftigen, bis er sich wieder an den Esszimmertisch setzt, an dem seine beste Freundin sitzt. Marion hat ganz viele bunte Utensilien zum Basteln mitgebracht. Auf dem Tisch liegen buntes Papier, Eicheln und Kastanien, Stifte und bunte Wolle. Was genau damit angestellt werden soll, das ist den beiden noch nicht so ganz bewusst. "Das macht aber nichts", sagt Marion, "denn es ist einzig wichtig, dass Lennard seine Fantasie benutzt."

Die Beziehung zwischen Marion und Lennard ist eine ganz besondere Freundschaft. Marion Wendland ist nämlich ZeitSchenkerin. Sie kümmert sich regelmäßig um den kleinen Lennard, der mit schwersten und lebensbedrohenden Behinderungen zur Welt gekommen ist. Seine Luft- und Speiseröhre sind zum Teil in einander verwachsen und der Junge muss mit einer Nahrungspumpe leben, die er in einem kleinen Rucksack immer mit sich trägt. Erst sehr spät lernte er laufen, mit fünf begann er zu sprechen. Heute besucht er die zweite Klasse der Sonderschule für Körperbehinderte in Harburg. Die körperlichen und geistigen Einschränkungen des Jungen mindern in keiner Weise seine Lebensfreude, fordern aber von seinen Eltern ständige Aufmerksamkeit. "Lenni wird schnell krank, und zudem können wir ihn nur schwer bei den alltäglichen Aufgaben wie Einkaufen oder Bankbesuche mitnehmen", sagt Lennards Mutter Angela Kohl. "Und die zehn Tage, die wir als Eltern behinderter Kinder von der Krankenkasse vergütet bekommen, wenn wir nicht arbeiten können, reichen für eine umfangreiche Betreuung lange nicht aus." Ständig ist die Familie auf der Suche nach Tagesmüttern oder Betreuern, die Eltern zur Entlastung benötigen, um ihren Alltag zu meistern.

Und für Familien wie diese setzt sich der Verein Nestwärme e.V. ein, der ZeitSchenker an Eltern mit behinderten und schwerstkranken Kindern vermittelt. In diesen Familien ist Zeit ein teures Gut, nicht zuletzt aufgrund der starken physischen und psychischen Belastungen.

Marion Wendland besucht ihren Schützling Lennard einmal in der Woche für etwa drei Stunden. "Wir waren letztes Mal auf einem Spielplatz und dann sind wir auch schon viel mit der Bahn unterwegs gewesen", berichtet der kleine Lennard und seine Augen leuchten. Und in genau diese Herzlichkeit und das Vertrauen, das Lennard in die 59 Jahre alte ZeitSchenkerin setzt, hat sich Marion Wendland verliebt, wie sie sagt. "Ich kann die Eltern entlasten, aber auch ich persönlich bekomme ganz viel Liebe zurück", so die Harburgerin, die früher als Erzieherin gearbeitet hat. "Es ist eine Ehre für mich, am Leben dieser Familie teilhaben zu können und jedes Mal überwältigt mich Lennards Freude, wenn ich zu Besuch komme."

Nun sucht Nestwärme e.V. weitere ZeitSchenker, die sich besonders für Familien für Harburg und den Umkreis einsetzen. Mit der Aktion "Glücksbringer gesucht" versucht Nestwärme e.V. gemeinsam mit anderen Vereinigungen, Menschen für ehrenamtliche Mitarbeit in Harburg zu gewinnen. "Es ist zu Beginn eine Herausforderung, das kann man nicht anders sagen", gibt Marion Wendland zu. "Aber jeder, der etwas Zeit übrig hat, sollte sich überlegen, ob er damit nicht anderen Menschen das Leben erleichtern kann." Danach lächelt die 59-Jährige Lennards Mutter an, die an diesem Tag zu Hause ist. Später kann sie auf einen Elternabend gehen - aber nur, weil Marion Wendland ihr die Zeit dafür schenkt. Wer ZeitSchenker werden möchte, kann sich per Email melden.

hamburg@nestwärme.de