Mit dem Programm “Soziale Stadt“ sollen die Probleme im “Schweitzer-Viertel“ entschärft werden. Doch es hakt noch gewaltig.

Winsen. Zwischen den Einfamilienhäusern wirken die grau-blauen Betonklötze wie Fremdkörper. Achtgeschossig aufgetürmte Plattenbauten auf der einen, grüne Vorgartenidylle auf der anderen Seite. Rechts huschen Frauen mit Kopftüchern in die Hochhaussiedlung des Winsener Albert-Schweitzer-Viertels, links parkt ein frisch geputzter Mercedes vor dem Eigenheim. Die sozialen Unterschiede prallen hier, im Winsener Osten, direkt aufeinander.

Ein Konflikt, den die Stadt Winsen nun entschärfen will. Wobei ein Blick auf die Struktur des Viertels zeigt, dass die Bezeichnung "Brennpunkt" nicht aus der Luft gegriffen ist: Von 461 Bewohnern (Stand: 2008) haben 44 Prozent einen Migrationshintergrund. Überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit und Kriminalität prägen das Leben. Die Leerstandsquote in den drei winkligen Wohnblöcken beträgt 19,2 Prozent.

Auf sozialer Ebene ist mit der Konfliktlösung bereits begonnen worden. Im Rahmen des Programms "Soziale Stadt" wurde ein Quartiermanager etabliert, Sprachkurse und Arbeitsbeschäftigungen sollen folgen. Das Konzept ist richtig, da sind sich Stadt und Rat einig. Was derzeit für Kopfzerbrechen sorgt, ist die Modernisierung der Wohnblöcke.

Seit einem Jahr ist das Schweitzer-Viertel Sanierungsgebiet. Doch passiert ist bislang wenig. Die Plattenbauten sind jahrelange vernachlässigt worden, wirken marode und verwahrlost. Vor allem die Wohnungen in den oberen Stockwerken sind teilweise unbewohnbar. Eindringende Feuchtigkeit und Schimmelbildung sind die gravierendsten Mängel.

Nun gibt es zwei grundsätzliche Varianten, das zwischen 1974 und 1978 von der "Neuen Heimat" erbaute Quartier aufzuwerten. Beide Alternativen sehen vor, die 189 Wohnungen zu modernisieren. Ob das angrenzende und düster wirkende Parkhaus mit 124 Stellplätzen abgerissen oder saniert werden soll, darüber streiten sich die Fraktionen. Der Abriss würde 100 000 Euro kosten und neue Stellplatzmöglichkeiten im Quartierinneren erfordern. Auch der Spielplatz im nördlichen Bereich der Schweitzer-Straße müsste weichen - nebst 940 000 Euro Kosten für die Umgestaltung. Wenn die Parkhalle indes saniert wird, müssten die Kosten laut Gutachten erst ermittelt werden. In jedem Fall, so die Expertise, sei das Parkhaus, für dessen Plätze Miete bezahlt wird, nicht mehr zeitgemäß. Zu dunkel, zu unübersichtlich.

Der Rahmenplan für das Sanierungsgebiet wurde von der Hamburger Planungsgesellschaft ASK Hassenstein erstellt. Geschätzte Modernisierungskosten für das gesamte Viertel: 9 Millionen Euro. Eigentümer der insgesamt 11 900 Quadratmeter Wohnfläche ist das Berliner Unternehmen Capricornus High Deck Residential GmbH & Co KG. Dessen Projektbeauftragter Thomas Weinert hält 9 Millionen Euro für "total überzogen". Die Stadt erwartet aber, dass sich der Eigentümer an den Modernisierungskosten beteiligt. Eine noch nicht beigelegte Auseinandersetzung, die den Projektstart hinauszögert.

Derweil scheidet in der politischen Debatte vor allem das unansehnliche Parkhaus die Geister. Die SPD befürwortet die Sanierung der Parkpalette: "Ein Abriss für 100 000 Euro und Folgekosten für Alternativstellplätze haben nur einen Gewinner - den Eigentümer, der Instandsetzungskosten spart", so Fraktionschef Dirk Oertzen. Auch sein Parteigenosse Uwe Scheuer, Vorsitzender des Planungsausschusses, zieht diese Variante einem Abriss vor: "Bauliche Veränderungen, Renovierung und optische Verschönerung halte ich für besser geeignet." Und: Die Wohngebäude sollen nicht nur von der Stadt saniert werden: "Eine vertraglich gesicherte Beteiligung des Eigentümers ist erforderlich", so Oertzen.

Die CDU-Fraktion, allen voran der Landtagsabgeordnete André Wiese, plädiert ebenfalls für einen Erhalt des Parkhauses: "Es wird nicht unter finanzieller Beteiligung der Steuerzahler abgerissen, sondern bleibt saniert und optisch umgestaltet erhalten. Mittel aus dem Topf "Soziale Stadt" sollen dafür aber nur verwendet werden, sofern der Eigentümer "echte Mitarbeit" und "eigene Anstrengungen" zeigt. Spielmöglichkeiten für alle Altersgruppen, eine Geländemodulation und schallminimierende Maßnahmen am Gesamtkomplex schließt die Forderung der Christdemokraten mit ein.

Erich Lubina, Vorsitzender der Ratsliberalen, meint dagegen: "Der Parkbunker muss weg! Das Viertel muss geöffnet werden, es darf kein Ghetto bleiben." Auch seine Fraktion pocht auf eine starke Einbeziehung des Eigentümers.

Dr. Erhard Schäfer, Fraktionsvorsitzender der Grünen, ist für den Erhalt des Parkhauses. "Man muss den Bau im Gesamtkonzept sehen, deshalb ist es sinnvoll, ohne Abriss auszukommen. Denn andernfalls müssten neue Stellflächen geschaffen werden." Was das gesamte Gebiet angeht: "Die Wohnungen sind in einem unhaltbaren Zustand. Betriebskosten von zwei Euro pro Quadratmeter müssen durch Modernisierung gesenkt werden - und das ist in jedem Fall vom Eigentümer zu tragen!" Seine Fraktion suche nach einem Weg, den Eigentümer per Baugesetz zu zwingen, sich an den Kosten zu beteiligen. Zudem, so Schäfer, müsse Capricornus eine Frist gesetzt werden, um sich zu den Missständen zu erklären.

Freie Winsener-Chef Oliver Berten sagt, "ein Abriss kommt nur in Frage, wenn sich der Eigentümer beteiligt." Zwar sei das Parkhaus ein "Schandfleck, der weg muss", aber nicht mit Steuermitteln. Überdies plädiert er für eine Durchmischung des Viertels, denn "eine Konzentration von sozial Schwachen" berge auch nach einer Sanierung Gefahren. Er hat noch einen ganz anderen Vorschlag: "Wenn es finanzierbar ist, kauft die Stadt das Viertel - und baut es teilweise zurück oder reißt es ganz ab."

Capricornus-Mitarbeiter Thomas Weinert hält von alledem nichts: "Die Vorstellung der Stadt und unsere gehen weit auseinander. Für uns muss es eine Win-win-Situation sein. Es kann nicht sein, dass die Stadt die Modernisierung mit Fördermitteln bezahlt und wir erhalten davon nichts." Das Unternehmen sehe sich auch nicht in der Pflicht, für die marode Substanz aufzukommen: "Wir begrüßen zwar die Pläne, aber nicht auf unsere Kosten." Und warum sucht der Eigentümer nicht das Gespräch, bleibt Ausschusssitzungen fern? "Die Sitzung fiel in die Ferienzeit. Außerdem ging es nur um den Zustimmungsvertrag für einen Spielplatz - und der wurde mündlich erteilt." Die Capricornus wolle sich aber bis zum Ende des Jahres erklären.