Passend zur gegenwärtigen Erinnerungskultur kommt Robert Menasses Erzählband "Ich kann jeder sagen" daher. Worum geht es? Um den etwas anderen Blick auf Autobiografie und Erinnerungskultur: Allegorisch dafür steht in einer der Erzählungen das Erzähler-Ich eines vor Gericht geladenen Buchhändlers, der sich als Zeuge nicht mehr mit Exaktheit an einen Täter erinnern kann, obwohl es doch auch in seinem Leben "ein dramatischer Vorfall" war - und also in der wundervollen Erzählung "Die blauen Bände" beschließt, alle Autobiografien aus seinem Laden zu entfernen, um den Laden von allen "Lebenslügen" zu säubern. Die blauen Bände allerdings sind Überbleibsel einer ganz anderen Säuberungsaktion, als Deutschland noch im "heißen Herbst" stand und die Marx-Bände in einschlägigen WGs aus den Fenstern flogen. Robert Menasse ist ein begnadeter Erzähler. In pointiert-witzigen und ironischen Überlegungen zur Wahrheit von Erinnerung verwebt Menasse individuelle Geschichte in ihrer Banalität mit den großen Ereignissen. Was passierte in meinem Leben am 9. November, am 11. September, am Tag, als Kennedy erschossen wurde, als die RAF ihre Anschläge machte und so weiter. Aus der Fülle von Erzählungsbänden in diesem Jahr sticht dieser als ein intelligenter und poetischer hervor.

Robert Menasse: Ich kann jeder sagen. Erzählungen vom Ende der Nachkriegsordnung, Suhrkamp 17,80 Euro.