Alle drei Monate verwandelt ein Paar seine Wohnung in Wilhelmsburg zum Fernsehset.

Wilhelmsburg. Der entscheidende Satz fällt gleich zu Beginn: "Bei uns soll sich jeder wirklich als eingeladen, ja richtig als Gast fühlen". Kerstin und ich rennen ein paar Betonstufen hinauf. Hinter der schweren grünen Eisentür in Wilhelmsburg dann auf einmal ein Szenario, in dem die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen: überall Kabel, Scheinwerfer, Kameras, Technik, Menschen mit Headsets und letzte Anweisungen. Normalerweise wohnen in der Industrieetage im Wilhelmsburger Puhsthof Kerstin Schaefer (30) und ihr Partner Marco Antonio Reyes de Loredo (30). Friedlich und allein: Auf 90 Quadratmetern, mit einer prächtigen Küche und extrem schicken Lampen. Doch alle drei Monate wandelt sich die Wohnung des Paares zum Fernsehset, um von Freitag bis Sonntag drei Folgen "Konspirative Küchenkonzerte" aufzunehmen.

Ihren Freund dürfen wir jetzt nicht ansprechen, weiß Kerstin, zierlich brünett und die Gäste umwirbelnd: Denn gleich schreitet Marco als infernalischer Kochshow-Moderator in den Ring. Vor der Sendung ist Marco eher stumm oder wie gerade im Gespräch mit Stefan Mühlmann, der in der Sendung den Part seines stummen Dieners "Enno" übernimmt. Ob Marco, der im normalen Leben Kulturanthropologie in Lüneburg studiert und seit Ewigkeiten Radioerfahrung bei Tide 96,0 sammelt, in diesem Moment aufgeregt ist, weiß Kerstin nicht so genau. Ihr fällt nur auf: "Am Anfang redet Marco immer schneller."

Wir laufen wieder hinunter in den Keller: Zwischen charmant-skurrilen Flohmarktlampen mit aufgedruckten Jagdszenen, einer alten OP-Lampe und gepolsterten Sofas warten die Gäste im "Loungebereich" mit kleinem Catering auf den Beginn der Küchenkonzerte, die gleich aufgezeichnet werden. Und dann dürfen wir hoch: Oben wird die Platzzuteilung noch schnell per Headset koordiniert - dann sitzen wir alle an kleinen Tischen mit geblümter Retrotischdecke, Fritz Cola, Bier und einer Blumenvase dekoriert. Ich komme neben einem surrenden Kabelkasten zu sitzen. Dann eine knappe Einführung. Marco ist inzwischen dezent verkabelt. "Wann musst du klatschen, Vanessa?", scherzt er mit dem Publikum. Aufnahmeleiterin Eva Steindorf blickt hoch konzentriert.

Kurz nach 8 Uhr: Ein letztes Mal husten, dann surren die Kameras in Wilhelmsburg los. Marco schlängelt sich durch seine Wohnung und spricht die Begrüßung in die Kamera. Ein kleiner Haspler, dann läuft es wie geölt. Kameramann Paul Spengemann ist ihm auf den Versen. Ein Wunder, dass der nicht über die Füße der etwa 30 eng sitzenden Gäste stolpert. Ungefähr 20 Leute sind nötig, bis das perfekte Ergebnis mit vorproduzierten Maz-Einspielungen ein paar Wochen später bei Tide TV und anderen Regionalsendern ausgestrahlt werden kann.

Während neben mir Regisseurin Pia Maria Gehle mit rot lackiertem Fingernagel auf ihrem Klemmblock den Ablauf überwacht, parlieren de Loredo und seine Küchenkonzert-Gäste auf dem grünen Samtsofa. Heute zu Gast in Wilhelmsburg bei der 9. Sendung ist Karamel, eine Band aus dem Umkreis der Hamburger Schule.

Die Kulturkochsendung ist schnell getaktet. Die ersten Schweißperlen bilden sich auf der Nase: Den Puder hat Marco heute weggelassen. Vielleicht ein Fehler. Loredo verschwindet in der Küche, um das Gericht zu präparieren, das sich die Band gewünscht hat. Derweil gibt Karamel auf der Bühne ein erstklassiges Konzert. Melancholische Gitarrenschrammel-Musik mit poetisch-abgefahrenen Texten, während im Hintergrund unglaublich schöne Videoprojektionen der Hamburger Overheadprojektionskünstlerin Katrin Bethge ablaufen: korallenartig, verzaubert frostige Sträucher, die in Farben schwelgen. "Einladen, was selbst gefällt", lautet die Devise.

Das Besondere an der ultimativen Kunstkochshow: Keiner der versammelten Mannschaft verdient einen Cent. Und: Keiner der Gäste musste etwas zahlen. Vereinzelt gab es mal einen Sponsor für Reis, ein Getränk oder Möbel, aber das ganze Sendungskonzept ist nur davon getragen, "ein verdammt gutes Kulturprogramm zu machen", das auch die Macher erfreut. Es duftet nach dunklem Fleisch und Weißwein. Natürlich darf das Publikum probieren. Klar sind die Küchenkonzerte ein ironisches Format: Es geht um Kultur, weniger ums Kochen. Doch jede Sekunde Küchenschweiß zeugt von bestem Geschmack, mit dem Kunst und Musik auf die Mattscheibe gehievt werden. Cut, Kamera aus: Danke!