Es war wohl die ultimative Stabilitätsprobe für das 20 Meter hohe Gerüst am Harburger Rathaus als sich am Sonnabend gegen Mittag mit lautem Flügelschlag der Rettungshubschrauber näherte.

Harburg. Die Besucher des 6. Harburger Kulturtages, die trotz Kälte in Scharen die Treppen des klappernden Eisengerüstes hocheilten, um oben das Kunstzimmer des Japaners Tatzu Nishi zu besichtigen, staunten, als sich plötzlich die Bäume bogen und die Sandkörner durch die Luft wirbelten, weil der Rettungshubschrauber direkt vor ihrer Nase landete. Doch die Feuertaufe für Tatzu Nishis Kunstwerk ist bestanden: Bombensicher trotzte das Eisengerüst am Rathaus den starken Winden. Manfred Krüger, der mit seiner Frau auf dem Harburger Kulturtag unterwegs war und alles in 20 Meter Höhe miterlebte, sagte: "Das war gar nicht so schlimm". Aber spektakulär sei der Anblick aus der Luft schon gewesen.

Die "luftige Kunststube" des Japaners Tatzu Nishi war eines der temporären Kunstprojekte, die der Kunstverein Harburger Bahnhof im Rahmen des Kunstprojektes "Harburger Berge" präsentiert hatte und zum Kulturtag Führungen zu allen Projektstandorten angeboten hatte. Mit vor Kälte geröteten Nasen machten sich Scharen Kunstinteressierter auf und staunten beispielsweise über Julia Bünnagels goldene Installation tief unter der Erde im Zivilschutzraum in der S-Bahn Harburg Rathaus. "Wann haben wir sonst schon mal die Gelegenheit, einen solch skurrilen Ort zu besichtigen?" Die Kuratoren des Projekts, Tim Voss und Britta Peters, waren höchst zufrieden: "Die Resonanz auf die "Harburger Berge" ist super - die Menschen sind aufgeschlossen, offen und interessiert." Künstler Tatzu Nishi war extra aus Berlin zum Kulturtag angereist und konnte sich vor Staunen gar nicht mehr einkriegen, dass die Harburger an einem durchschnittlichen Wochenende mit bis zu 300 Menschen das Gerüst erklommen, um sein Kunstwerk am Rathaus zu sehen.

Auch das charmante Aufsichtspersonal in der Falckenberg-Sammlung hatte am Kulturtag alle Hände voll zu tun, um den Besucheransturm zu ordnen, der gekommen war, um die beiden laufenden Ausstellungen in der Sammlung in Augenschein zu nehmen. Im Zwei-Stundentakt gab es Führungen, die brechend voll waren. Die Kunstliebhaber wurden mit einem Blick auf Robert Wilsons inszenierte Videoportraits von Prominenten belohnt. Außerdem konnten die Besucher Jonathan Meeses überbordenden Schaffensdrang bestaunen und erhielten sachkundige Erläuterungen zum Werk des anarchischen Kunststars. Auch viele Besucher von nördlich der Elbe waren dafür nach Harburg aufgebrochen.

Etwas gemäßigter frequentiert, dafür ebenfalls höchst spannend, war das Programm im Harburger Theater: Regisseur Franz-Joseph Dieken eröffnete dort seinem Publikum: "Ich zeig Ihnen mal, wie es wirklich ist: wie viel Kleinkram, bis es wirklich swingt". Gemeint war mit diesem Theaterjargon die harte Probenarbeit: Theaterfreunde schauten sich eine Originalprobe zu "Michel aus Lönneberga" an. Da einige Schauspieler krank waren, musste sogar der Regiepraktikant ran. Bald taten einem die Darsteller leid, die zehn Mal zur Tür herein mussten, bis ihre "Präsenz" stimmte. Wenige Meter weiter gab es im Umkreis wieder die beliebten Gruppenausstellungen im "Schauraum", im "Kubus" und bei "Alles wird schön" zu besichtigen.

Musikfreunde tummelten sich indes im Stellwerk, wo sie ihr Gehör mit feinsten Genüssen verwöhnen lassen konnten. Hier hatten die "Musikgemeinde Harburg" und "Musik im Gespräch" als Clou ein Mendelssohn-Konzert der Harburger Kantorei unter Werner Lamm auf die Beine gestellt. Und wer noch ein wenig Forscherdrang verspürte, konnte sich im Helms-Museum über den Weg einer Harburgensie von der "Schenkung bis in die Vitrine" informieren. Der Kulturtag klang bei innovativem Jungjazz, Wein und kunstfreudigen Gesprächen aus. Fazit: Harburg hat internationales Kunstpotenzial!