Mitarbeiter des Helms-Museums forschen am kreisweit einzigen säkularen Gebäude mittelalterlichen Ursprungs. Mit erstaunlichen Erkenntnissen.

Winsen. Zwischen Schutt und Mutterboden lugen sie hervor, die vergessenen Überreste der Winsener Stadtgeschichte. Rote Backsteinformationen ragen aus tiefen Grabungslöchern, grober Kalkmörtel quillt aus den Ritzen, schwere Feldsteine zeichnen die Fundamente nach. Diese Siedlungsreste sind Relikte einer mittelalterlichen Wehranlage, die nun, nach 300 Jahren, wieder ans Tageslicht gekommen sind.

Freigelegt haben sie Altertumsforscher des Landkreises, die im Zuge der Bauarbeiten an der Rampe des Schlosses den Grund untersuchen. Seit Montag gräbt das Team um Jochen Brandt, Archäologe des Helms-Museums, am Schloss. Kleine und große Schätze wurden schon aus dem geschichtsschwangeren Boden gehoben. Denn dort, wo jetzt der Backstein im Klosterformat aus den Baugruben ragt, stand vor 300 Jahren das Torhaus des Schlosses.

Das Gebäude war Teil der Befestigungsanlagen, die zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert Schutz boten. So sei es laut Brandt sehr wahrscheinlich, dass zwei Wassergräben, eine vorgelagerte Zugbrücke und eben das repräsentative Torhaus die ehemalige Burg umgaben.

Anhand der nun freigelegten Grundmauern lässt sich erahnen, dass sich auf 10 mal 25 Metern ein mehrgeschossiges Fachwerkhaus erstreckte. "Es dürfte in etwa die Größe des heutigen Marstalls gehabt gaben", so der Archäologe. Doch nachdem das Schloss im Dreißigjährigen Krieg besetzt und die Befestigungsanlagen nach dem Waffenstillstandsabkommen abgerissen wurden, verfiel das Torhaus zusehends. Auch damals waren die Kassen so knapp, dass es nicht saniert werden konnte. "Und so wurde es um 1700 abgerissen", sagt Jochen Brandt.

Die Reste des Gebäudes fielen in einen 300-jährigen Dornröschenschlaf. Für die Nachwelt wurde das Torhaus lediglich auf einem Kupferstich aus dem Jahr 1654 erhalten. Erst 1962 blitzte die Existenz des Gebäudes wieder auf, als das Schloss an die städtische Kanalisation angeschlossen und dabei ein Teil des Torhaus-Westgiebels durchbrochen wurde. "Darüber hatte ich eine Notiz in meinen Akten", sagt Altertumsforscher Brandt.

Bis Dienstag haben die Archäologen noch Zeit, den Baugrund genau unter die Lupe zu nehmen. Feinputzuntersuchungen sollen Aufschluss über unterschiedliche Bauphasen geben. Ziel ist es, die fast vollständig erhaltenen Grundmauern zu dokumentieren und das Fundmaterial zu bergen. Allerdings, so Brandt, sei beim Abriss vor 300 Jahren das Innenleben des Gebäudes großteils entfernt worden. "Deshalb finden wir viel harte Grauware." So nennen die Forscher Gefäßbruchstücke typischer mittelalterlicher Keramik. Krughenkel, Topfdeckel und Tassenfüße wurden gewaschen und dokumentiert. Darüber hinaus seien Tierknochen (vermutlich Speisereste) und grün glasierte Ofenkacheln gehoben worden. Letztere ließen darauf schließen, "dass die Torwächter im Winter auch nicht frieren wollten", begründet der Kreisarchäologe.

Neben den Grundmauern des Torhauses stieß das Grabungsteam auf den zweiten, mittlerweile zugeschütteten Wassergraben des Schlosses. "Wir gehen stark davon aus, dass wir den zweiten Graben erwischt haben. Er war wohl 3,5 Meter tief und gehörte zum klassischen Umfeld der Wasserburg", sagt Brandt.

Die Lage der Fundstücke schließe zudem eine weitere historische Lücke. So sei lange spekuliert worden, ob der ursprüngliche Zugang des um 1300 erbauten Schlosses schon immer in der Mitte der Festungsmauer gewesen sei. Amtsgerichtsdirektor Albert Paulisch sieht in den Grabungsergebnissen ein Indiz dafür, dass das Portal nie an anderer Stelle, etwa wie vielfach behauptet an der Kapelle lag. "Dafür spricht die leicht gewundene, in Richtung Eingang zeigende Form der Grundmauern", so Paulisch. Ebenso die direkt anschließenden Fundamente der Zugbrücke.

Dass es überhaupt zu den geschichtlichen Untersuchungen kommt, ist dem Helms-Museum als Fachinstitution des Landkreises sowie dem staatlichen Baumanagement des Landes Niedersachsen zu verdanken. Auch die Baufirma, die derzeit den Weg zum Amtsgericht saniert, hilft mit schwerem Gerät.

Nach Fertigstellung der modernisierten Fußwegrampe sollen die Grabungsergebnisse weiterhin erkennbar bleiben. Denn, und das ist nicht gewöhnlich: Die Fundamente der Schlossgrabenzugbrücke sollen durch rote Steine nachgezeichnet werden - ein Stück Geschichte nachvollziehbar bleiben.