Hinter einer schweren grünen Einsentür in der S-Bahnstation Harburg-Rathaus verbirgt sich ein Kunstwerk voller Beklemmung.

Harburg. Dieser Ort löst Beklemmung aus. Sofort und unmittelbar. Erst passiert man das Schleusentor, dann geht es an einer sogenannten Dekontaminationsdusche vorbei und hinein in ein schummriges Halbdunkel. In der größten "Mehrzweckanlage für 5000 Personen", wie ein Schild an der Wand des Bunkers in der S-Bahn Harburg Rathaus besagt, dringt kein Tageslicht und kein Hauch frischer Atemluft. Staubig und drückend ist das Klima in dem Raum für den "Ernstfall", seltsam warm, denn zur Zeit ist die Belüftungsanlage nicht im Gange. Julia Bünnagel, Künstlerin aus Köln, arbeitet hier unten an einer Installation. Titel: "All those tomorrows". Sie hat den Bunker mit der bedrückenden Atmosphäre, die auf den Kreislauf schlägt, seit Wochen zu ihrem Arbeitsplatz gemacht.

Und so soll die Rauminstallation aussehen: "Erst geht der Besucher durch das Schleusentor, wo ihn an der Wand in Gold der Schriftzug "All those tomorrows" empfängt, angelehnt an Art und Größe der anderen Beschriftungen hier im Bunker", erzählt Julia. Tomorrow, morgen: das soll den Horizont für etwas Utopisches öffnen. Der Besucher schreitet die breite Betontreppe hinab, von der man eine gute Aufsicht hat auf das, was Julia im Bunker erschaffen hat: Eine unterirdische Stadt. Erst nimmt der Besucher nur gold wahr, als eigenartiger Kontrast zu der dumpfen Atmosphäre des Schutzraums und seiner schlammfarbenen Wände. Langsam werden Konturen der Stadtutopie aus goldenen Styroporkuben sichtbar, die die Künstlerin in dem staubigen Gewölbe erbaut hat. Abstrahiert und reduziert. Trotz des Kontrastes zur nüchternen Funktionalität des Bunkers war Julia wichtig, "nicht komplett gegen den Bunker zu arbeiten, sondern gewissermaßen auch mit ihm."

In der kühlen und abstrakten Form ihrer Rauminstallation begreift Julia Bünnagel "Utopie" als "Idee von Veränderung". Als Motor, der uns antreiben und Möglichkeiten eröffnen kann. Inhaltlich bleibt Utopie allerdings unbestimmt und abstrakt: der Betrachter wird durch die Spiegelung des Materials vielmehr auf sich selbst zurückgeworfen und muss sich fragen, was für ihn hinter der glatten Oberfläche steckt. Gänge eröffnen sich zwischen spiegelnden Brettern, die man entlang laufen kann, um den Raum zu erfahren: Doch die Gänge führen ins Nichts.

Während Julia und ich den Ort erkunden, ist in regelmäßigen Abständen das Rattern der S-Bahnen zu hören, das Decke und Wände erschüttert und den Boden unter den Füßen vibrieren lässt. Da Julia gerne mit Soundinstallationen arbeitet, kommt ihr das zu gute: "Die Geräuschkulisse wird hier als Gratisatmosphäre frei Haus geliefert."

Und dann machen wir noch einen kleinen Ausflug ins "Gänsehaut-Science-Fiction-Terrain": Was ich hier unten im Bunker gesehen habe, ist nämlich nur ein verschwindend kleiner Teil: Unterhalb der S-Bahn-Station geht der Schutzraum endlos weiter. Julia zeigt mir die Räume: Es gibt WCs und Duschen unter der Erde, in denen es eigenartig nach Plastikduschvorhängen und nach der Feuchte stehenden Wassers riecht, ein Krankenlager mit Liegen und einen Rettungsraum. Mir fröstelt. Vor den Augen spulen sich sämtliche Katastrophenfilme ab. An Türen liest man "Patientenliegeraum", "ZS-Lager", "ZS-Rettungsraum. Doch Julia wollte in ihrer Arbeit bewusst nicht diesen "einfachen Grusel" aufnehmen.

Die junge Kölnerin interessiert sich vielmehr für die Architektur und Psychologie unserer Städte und für die Funktionalität von Räumen, die sie mit ihren abstrakten Installationen aus "kühlen" Materialien reflektiert und erfahrbar machen möchte. Zu sehen gibt es ihre unterirdische Stadtutopie ab dem 11. Oktober im Rahmen des Projekts "Harburger Berge" des Kunstvereins Harburger Bahnhof. Dann öffnen sich die Bunkertüren für Besucher. Froh ist man auf jeden Fall, wenn man das unterirdische Klima verlässt und wieder in die Harburger Sonne blinzeln kann. Öffnungszeiten Mi.-So. 14-18 Uhr.