Sie bespannt ihre Leinwände mit wild gemusterten Stoffen. Darüber malt sie ihre Bilder von Menschen. Dabei entsteht eine Nähe zum Jugendstil.

Wilhelmsburg. Plötzlich öffnet sich die schwere Tür in der Veringstraße. Eine junge Dame tritt auf mein Klingeln hinaus auf den Bürgersteig. Sie trägt grüne Schürze mit dem Logo der Bananenfirma "Del Monte". Eine Marktfrau?, überlege ich verwirrt. Nein, das ist meine heutige Verabredung: Ich besuche die junge Künstlerin Hanna Hase, die ihre Arbeitskleidung trägt. Malerin, Illustratorin, da fängt es schon an. Durch eine Toreinfahrt verlassen wir beide erst einmal die "normale Welt" und kehren in einen idyllischen Hinterhof, in dem man "irgendwie die Alltagswelt hinter sich lässt.", wie Hanna findet. Ein paar Stufen hoch - und schon ist da das malerische Backsteinhinterhofatelier in Wilhelmsburg mit kleinem Balkon und romantischer Pflanzenberankung, das sich Hanna mit vier anderen Künstlern teilt. Jeder hat in dem großzügigen Raum mit den ovalen Rundfenstern und den alten Holzdielen seine Parzelle, die er sich eingerichtet hat. Hanna und ich nehmen hinten Platz. Ich sitze auf einem netten, mit Retrostoff bespannten Sessel vom Flohmarkt.

Überhaupt der Stoff, da sind wir gleich ganz dicht bei den Arbeiten der Hanna Hase, eigentlich Hanna-Lena Hase. Erst einmal studierte die junge Frau, 1982 in Marburg geboren, an der Armgardtstraße in Hamburg Illustration. Danach folgte ein, so könnte man sagen, künstlerisch bedeutender Aufenthalt in Spanien. Die bunten Stoffe, die es dort nämlich an jeder Ecke auf den Märkten für ein paar Euro zu kaufen gab, inspirierten Hanna zur künstlerischen Verwendung. "Mich trieb damals das Thema Strukturen an", erzählt die junge Künstlerin. Gemeint sind damit die Strukturen in unseren Köpfen, Gesellschaftsstrukturen, aber auch die Struktur von Stoffen. Jedes Bild der Künstlerin ist von einer abstrakten Idee getragen, verrät sie mir. "Ziemlich kopfmäßig, eher kühl".

Das Strukturthema ließ sich sehr gut mit der Struktur der Stoffe spiegeln und weiterspinnen. Hanna bespannte ihre Leinwände mit wild gemusterten Stoffen und lasierte diese mit farbloser Grundierung. Quasi als Untergrund. Dann kam die Malerei. An manchen Ecken schimmert in den gemalten Menschen das Stoffmuster durch. Orangefarbene Querstreifen oder weiße Punkte auf rotem Hintergrund: Echte Hingucker. Zurück in Hamburg kam eine neue künstlerische Stufe. Zunehmend spielten die feinen Übergänge und Aufbrüche, Nuancen zwischen Stoff und Malerei eine Rolle, und es sollte die Präsenz des Stoffes subtiles Gewicht erlangen. Motivisch beginnt die Suche nach einem Naturzustand, der in uns allen steckt. Hanna arbeitet jetzt mit Pflanzen- und Tiermotivstoffen, versucht ein Moment des Triebhaften in uns einzufangen. "Das sieht ja nach Fin de Siècle und Dekadenzmalerei aus", finde ich. "Ja", stimmt Hanna mir zu: "eine unbewusste Nähe zur Jugendstilmalerei und zum Art Deco schlich sich bei mir ein." Dekorativ und auch ein wenig grafisch muten ihre Bilder an. Einige Figuren tragen einen Heiligenschein, das soll eine gewisse Naivität und Reinheit suggerieren. Und natürlich ist da der große Witz, der sich auf einer imposanten Leinwand eine moderne Eva in durchsichtiger Unterhose nach einer Paradiesfrucht strecken lässt.

Wie viele Meter Stoff sie eigentlich schon verarbeitet hat, weiß Hanna gerade nicht so genau. Es müssten ziemlich viele sein. In der Ecke lagern ihre großformatigen Bilder auf stoffbespannter Leinwand. Oft hat sie die schon ausgestellt. Mit dem Verkauf der Bilder ist das allerdings nicht ganz so einfach, erzählt mir Hanna ehrlich. Von der Kunst zu leben, ist also - wie bei den meisten Künstlern - ein eher leidiges Thema. Doch Hanna hat da einen guten Kompromiss entdeckt. Sie geht als Existenzgründerin an den Start und macht sich mit dem Projekt "Wildwände" - "Wand-lung nach Wunsch" selbstständig. Ihre Kunden können Wandbilder und Bordüren nach Wunsch bei ihr bestellen. Als Kunden könnte sich die junge Künstlerin gerade auch Cafés und Kneipen vorstellen. Bei sich in der sagenumwobenen WG in der Fährstraße 105, jenem Haus, das viele in Anlehnung an die Sternschanze die "gelbe Flora" nennen, hat Hanna nämlich schon die Wände in Keller und Treppenhaus künstlerisch gestaltet. In dem Haus, in dem 22 Menschen in Wgs unter einem Dach leben, wohnt auch Hanna seit drei Jahren.

Die Zeit verstreicht schnell in dem gemütlichen Großraumatelier in Wilhelmsburg. Hanna raucht eine Selbstgedrehte, erzählt, denkt über ihre Kunst nach, eine Künstlerkollegin mit Hund trifft ein, beginnt zu arbeiten und auch die dicke Katze aus der Nachbarschaft schaut auf einen Besuch herein.

Für das Foto wählen Hanna und ich das große Bild mit einer Adaption der Paradiesszene und einer "modernen Eva", um es als Hintergrund an die Wand zu hängen. Ich bin wirklich erstaunt, wie leicht die Leinwand mit bespanntem Stoff ist. "Stimmt", sagt Hanna. "Dafür, dass auf den Bildern manchmal eine ganze Welt drauf ist, sind sie sehr leicht."

www.hannalenahase.de