Eine Zahnarztgattin schläft nicht mehr. Nicht so wie damals, als sie noch Studentin war und dann tagsüber wie gerädert war. Nein, seit 17 Tagen hat Haruki Murakamis Protagonistin in “Schlaf“ die Augen nicht mehr zugetan - und wird mit jedem Tag vitaler.

Nachts blickt sie auf das schlafende Gesicht ihres Gatten, das ihr fad und hässlich erscheint, langweilig und ordinär. Am Bett ihres schlafenden Sohnes denkt sie, dass sie auch ihn eines Tages verachten wird und beginnt dann genüsslich bei Cognac und Milchschokolade Tolstois "Anna Karenina" zu lesen. Ihr Geist ist wacher als je zuvor und nach dem dritten Durchgang versteht die Heldin einfach alles.

Im Morgengrauen macht sie sich Sandwich und Kaffee. Niemand von der Familie bemerkt etwas über die nächtlichen Eskapaden. Und wenn der Zahnarztgatte aus dem Haus ist, wird weiter gelesen. Nachmittags geht die vom Schlaf Befreite eine Stunde konzentriert schwimmen und wundert sich, dass ihr Körper immer schöner wird. Der japanische Autor Haruki Murakami hat eine rätselhafte, surreale Erzählung über die Zwischenwelt von Schlafen, Wachen, über das am-Leben- und Tot-Sein geschrieben. Bizarr, manchmal dem Horrorgenre nahe. Das Bändchen ist meisterhaft illustriert von der Berliner Zeichnerin Kat Menschik. Murakami: Schlaf. DuMont, 14,95 Euro.