Die junge Illustratorin verleiht gerade den kleinen Momenten des Lebens künstlerisches Gewicht.

Wilhelmsburg. Die Illustratorin Susanne Mewing sitzt in ihrem Atelier in Wilhelmsburg und blättert ein Buch mit ihren Zeichnungen auf. Es riecht nach Farben, in der Ecke stehen die großen aufgerollten Papierrollen, die schon ein wenig abgegriffen sind, auf denen die Künstlerin am liebsten arbeitet. Mewing trägt ein rotes Jäckchen mit weißen Punkten zur blauen Hose, ein wenig sieht sie damit aus wie ein kleiner Marienkäfer. "Mich interessieren Zustände, die jeder kennt: Schmerz, Einsamkeit. Von denen möchte ich erzählen, ohne dass es total peinlich wird."

Es sind so etwas wie die flüchtigen Zwischenmomente unserer Existenz, die Susanne Mewing antreiben und den künstlerischen Motor zum Laufen bringen. Die Zeit beim Zähneputzen, ein vielleicht versonnener Moment beim Fußnägelschneiden oder das Gefühl, wie man in der Kindheit beim Erbsenschälen auf einem fusseligen Flokati saß. Einerseits sind wir bei diesen unbedeutenden Handlungen ganz bei uns, beim Zählen der Erbsen oder unserem Körper auf dem weichen Untergrund. Andererseits sind es gerade diese kleinen Momente, in denen man "zu Atem kommt", die kaum als solche registriert werden. Man hängt dazwischen, zerstreut sich, Momente einfachen So-Seins: Ruhe-Oasen in unserem planvollen Tun, außerhalb des Funktionierens, unbedeutend, nutzlos, vielleicht deswegen in der Erinnerung so atmosphärisch. Ein Geruch, ein Licht, ein Traum - "solche Dinge halt". Diese Zustände verdichtet Mewing in ihren überaus lässigen und weiblich zu nennenden Zeichnungen. Auf Papier, das bei ihr immer schon etwas "schnusselig" aussieht, mit Wellen und Gebrauchsspuren und - ganz wichtig - ohne Vorskizzen. Oft kommt es zu Übermalungen bei der Produktion. Im Bild sieht das dann aus wie Schichtungen, Irr- und Abwege, die ein kleines Geheimnis ins Bild einschreiben. Manchmal entdeckt man im Bild auch knisterndes Spinnenwebenpapier aus alten Fotoalben, die Mewing auf dem Flohmarkt kauft. Einerseits, um Szenen aus fremden Leben zu entdecken und zu denken: "das bei der Grillparty könnte auch ich sein." Andererseits, um das Gebrauchte ins Bild einzuarbeiten.

Mewing, die mit warmer, ein wenig kratziger Stimme erzählt, mag den Kleinbürger in uns. Davon zeugen Materialien: Schrankpappe oder gemaserte Holzfolie tauchen auf. "Mich berühren Kleingärten und akkurat geschnittene Ritzen zwischen den Gehwegplatten. Das hat viel mit meiner, vielleicht mit unserer Geschichte zu tun." Aus dem Alter, das als "cool" oder "uncool" bewerten zu müssen, ist Mewing mit 37 Jahren sowieso hinaus.

Die Künstlerin hat einen guten Blick für das Prägende und Existenzielle in unseren Biographien und integriert diese Erfahrungen liebevoll in ihre Kunst: "Da ist zum Beispiel die alte Frau, die in der S-Bahn sitzt und auf der Fahrt in die Großstadt die Henkel ihrer Handtasche ängstlich umklammert. Solche Szenen berühren mich. An ihnen ist etwas Wahres." Oder es ist ein winziges Detail, wie der BH-Träger, der sich ins Fleisch seiner Trägerin eingräbt und es rötlich färbt. Diese Aufmerksamkeit für das Alltägliche und Verletzliche in uns macht Susannes Kunst aus, macht sie haptisch. Die Künstlerin schreibt das Ausgeschlossene wieder ins Bild ein. Dezent und berührend.

Es ist wohl kein Wunder, dass Susanne Mewing mit ihren seltsam weiblichen, berührenden, schutzlosen und körperlichen Arbeiten ihre Diplomarbeit als Diplom-Designerin an der Armgardtstraße zum Thema Haut anfertigte. Das hatte damals einen ur-persönlichen Hintergrund, wie eigentlich alles bei Mewing, die schon in St. Petersburg, Japan und Los Angeles ausstellte. Abgesehen von der Intimität ihrer Arbeiten ist Mewing aber auch eine gute Geschichtenerzählerin. Die freie Illustratorin mit Aufträgen für die Szene Hamburg, Zeit-Online und Brigitte Woman befindet über ihre Arbeiten: "Jedes Bild erzählt eine Geschichte." Meist stehen Frauen im Zentrum, oft ein Zwillingspärchen: zerrissen das eine und das andere repräsentierend.

Der weibliche Blick prägt auch die aktuelle Ausstellung von Susanne Mewing bei "Alles wird schön" in Heimfeld. Bei einer Reise nach Finnland fiel ihr eine uralte Fibel in die Hand: ein Nachschlagewerk für ländliche Hausfrauen. "Emmaennaen Tietokirja (A-Ö)". Die Künstlerin fand die alten Themen der Mütter und Großmütter auch bei den jungen Frauen, entdeckte sie in der Großstadt, in der Moderne. Mit liebevoller Aufmerksamkeit für das Verletzliche und Ängstliche in uns holen ihre Figuren auf den Bildern das ins Bewusstsein. Dabei bleibt Mewing immer Zeichnerin, mehr der Linie, als der Fläche verschrieben: Unter den jungen Künstler ist sie derzeit eine der spannendsten.

Ausstellung bis 18. September, Friedrich-Naumann-Straße 27.