Helianthe Kloth hat Bücher, Dokumente und alte Schulaufsätze zur Geschichte des Ortes gesichtet. Sie kennt spannende Details.

Moorburg. Helianthe Kloth (57) aus Moorburg wird morgens gegen 7 Uhr vom Glockengeläut der St. Maria-Magdalena-Kirche geweckt. Bis zur mitten in Industrieanlagen liegenden Altenwerder Kirche kann man die Glockentöne, die an das Morgengebet erinnern sollen, vernehmen.

Das war seit Jahrhunderten in dem heute 780 Einwohner zählenden Moorburg nicht mehr üblich. Zu den Festwochen, die zum 700-jährigen Bestehens der St. Maria-Magdalena-Kirche ausgerichtet werden, ließen die Organisatoren diese christliche Tradition wieder aufleben. Und das auch um zu zeigen: "Hier ist Leben", so Kloth. Das ist auch der Sinn der veranstaltungsreichen Festprogramms, das sie mit vielen ehrenamtlichen Helfern aus Moorburg dank vieler Spenden organisiert hat. "Es war ein gewaltiger Kraftakt für die Kirchengemeinde."

So gibt es morgen und Sonntag, jeweils ab 11 Uhr vor dem alten Pastorat (Moorburger Elbdeich 129) einen mittelalterlichen Markt mit Gauklern, Rittern und Spielleuten, die die Zeit lebendig werden lassen, als es noch eine hölzerne Kirche in Moorburg gab. "Wir wollen die Menschen davon überzeugen, dass es hier lebenswert ist und immer war." Denn viele Einwohner sind im Laufe der vergangenen Jahre weggezogen. "Es gibt keine Schule mehr im Ort. Busse verkehren nur stündlich, und viele Häuser stehen leer." Die Zukunft soll nach dem Willen der Moorburger anders aussehen. Deshalb lohne ein Blick in die Vergangenheit, sagt Kloth. Sie hat eine Ausstellung über die ereignisreiche Geschichte des Ortes erarbeitet, die noch bis Sonntag im alten Pfarrhaus zu besichtigen ist. Dafür hat die 57-Jährige unzählige historische Dokumente eingesehen, Bücher gewälzt und sogar alte Schulaufsätze gelesen. Dabei hat sie eine erstaunliche Entdeckung gemacht: "Moorburg war immer irgendwie in seiner Existenz bedroht, die Bewohner mussten zu jeder Zeit sehr findig und flexibel sein."

Sind es heute Hafenerweiterungspläne - weitere Industrieanlagen und Hafenquerspange - die unter Umständen Moorburg gefährden könnten, so waren es in früheren Zeiten Kriege und Sturmfluten, die den Bewohnern das Leben schwer machten. Und es scheint so, als ob der harte, entbehrungsreiche Alltag im ausgehenden Mittelalter, im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und in der französischen Besatzungszeit bei den Moorburgern die Lust am Geschichtenerzählen geweckt haben, romantische und auch spannende Döntjes, die ein wenig Licht in dunkle Tage gebracht haben mögen.

So auch die Legende um den Bau der Moorburger Kirche. Nicht immer lag der Standort des Gotteshauses so malerisch im Ortskern. "Bereits 1309 errichteten die Einwohner im Moor eine Kirche, die aufgrund eines Heiligenbildnisses, das Wunder vollbringen konnte, zum Wallfahrtsort wurde", berichtet Kloth. Als 1597 das Land eingedeicht und sich viele Menschen angesiedelt hatten, war die Kirche zu klein geworden. Als sie dann von einer gewaltigen Sturmflut zerstört wurde, wurden hölzerne Überreste genau dort angespült, wo die neue Kirche 1597 eingeweiht wurde. Das wundertätige Heiligenbildnis ging indes im Laufe der Jahrhunderte verloren.

Auch einen Helden hat Moorburg zu bieten: "1685 haben die Herzöge von Celle und Lüneburg den Ort überfallen, um ihn Hamburg abspenstig zu machen. Moorburg lag günstig an der Süderelbe, galt als Einfallstor in reiche Handelsstädte wie eben Celle und Lüneburg.

Die Herzöge versuchten, Moorburgs damaligen Pastor Johannes Becker zu erpressen. Er sollte einen Amtseid auf die Herrscher schwören. "Lieber ging er ins Gefängnis." Nachdem Hamburg 1688 Moorburg wieder zurückeroberte, stiftete die Hansestadt aus Dankbarkeit für die treuen Moorburger und ihrem mutigen Pastor einen teuren Barockaltar. "Der ist reich ausgestattet und für eine Dorfkirche völlig untypisch."

Während der Freiheitskriege (1812 bis 1815) konnte Moorburg eine mutige Jungfrau aufbieten. Die schöne Elisabeth, 17 Jahre alt, wurde verborgen gehalten, damit die französischen Besatzer sie nicht vergewaltigten. Ihr Herz gehörte einem jungen Leutnant aus Harburg, der während der Kämpfe um die Moorburger Schanze 1813 fiel und von Elisabeth dann in der Kirche liebevoll aufgebahrt wurde. "Das sind Geschichten, die von Generation zu Generation weitererzählt worden sind und sich auch in alten Schulaufsätzen finden." Auch wirtschaftlichen Problemen stellten sich die Moorburger auf ihre eigene Art. "Sie machten aus jeder Not eine Tugend." So gründeten Milchbauern, die ihre Produkte zum Verkauf auf die andere Elbseite bringen mussten, vor etwa 150 Jahren kurzerhand eine eigene Dampfschifffahrtslinie. Eine Schmugglerbande zog während der französischen Besatzungszeit (1806 bis 1814) im heimischen Dorfkrug eine Zwischenwand ein und belauschte dort Zöllner. Nicht immer waren die Pastoren in der St. Maria Magdalenen Kirche begeistert von ihren Gläubigen. "Die Milchbauern trieben es einst im wahrsten Sinne des Wortes so toll, dass ein Pastor sich dafür aussprach, eine Unzuchtsteuer einzuführen." Der Bericht darüber findet sich im goldenen Knauf auf dem Kirchturm. Dort, wo wichtige geschichtliche Begebenheiten des Ortes in zusammengerollten Papieren für die Ewigkeit aufgewahrt werden. "Wir hoffen, dass es auch so bleibt."