Filme abseits der Multiplex-Burgen: Zwei Männer zeigen besondere Streifen an ganz besonderen Orten.

Wilhelmsburg. Ausgerechnet die Trauerfilmreihe war es, die zur schönsten Reihe im Göttinger Film-Debattierclub wurde. Holger Kraus dämmert damals, wie schön das gemeinsame Filmgucken an einem Ort sein kann und welche Stimmungen an einen Film gebunden sind. Heute sitzt Holger Kraus - athletisch, schlank, im blauen Shirt mit silbernen Totenköpfen - auf dem Hochzeitssofa im Elbinsel-Museum in Wilhelmsburg. Neben ihm Kumpel und Gehilfe Bernard Homann. An diesem Ort haben die beiden sogenannten "Flimmerer" ihren neusten Clou ausgeheckt.

Jahrelanges Filmegucken und die Unzufriedenheit über die Multiplexkinos kondensierten sich bei Holger Kraus zu einer Idee: Warum sollte man Filme nicht mobil an verschiedenen Orten zeigen und passend zu einem charakteristischen Ort ein Filmjuwel wählen? So schlug vor drei Jahren die Geburtsstunde des Flexiblen Flimmerns. Seitdem hat Kraus, der zu Hause eine Videobibliothek von über 2000 Werken hegt und verwaltet, an rund 60 ungewöhnlichen Orten Filme strahlen lassen: Lars von Triers "Gespenster" in der Pathologie, "Irma la Douce" am Großmarkt, "Der Pate" in einer verlassenen Lagerhalle, "Moby Dick" auf einem Schiff und den Filmklassiker "Soylent Green" in einem Atombunker nahe dem Hauptbahnhof.

Die neueste Entdeckung ist das Elbinsel-Museum in Kirchdorf-Süd. "Für mich war das terra incognita", freut sich Kraus über die unerwartete ländliche Idylle mit Bauernhauscharme in Kirchdorf-Süd. Kraus, der in Harburg vor einer gefühlten Ewigkeit das Gymnasium besuchte, spricht von einem "Aha-Erlebnis", das man bei dem Namen Kirchdorf kaum erwartet. Schnell fand der agile Cineast einen passenden Film: Das mobile Kino bittet zur Landpartie und zeigt Joseph Vilsmaiers "Herbstmilch" im erhaltenen Burgkeller des Museums. Ein Streifen, der die vergangene Welt der Bäuerin Anna Wimschneider und die Nöte der Landbevölkerung aufleben lässt.

Der neue Film-Ort hat es in sich: eine steile Holztreppe führt hinunter, vorbei am Sarg von Großvogt Thomas Grote (1594-1657) und dann in den alten Burgkeller des Museums hinein: Die gewölbte Decke aus weißem Kalkstein misst hier nur ungefähr 1,80 Meter Höhe, kalt und feucht ist es in dem Originalgewölbe von 1620. Eine alte Fruchtpresse und Dezimalwaage stehen herum. Kraus wird noch kreativ werden und als Sitzgelegenheit für die Filmliebhaber Strohsäcke mit frischem Stroh aus der Nachbarschaft bestücken. Schließlich geht es darum, Filme sinnlich zu machen, vielleicht auch haptisch. "Film und Realität dürfen gerne verwischen, wenn man zum Beispiel das alte Fahrrad oder die Milchkarre, die im Film vorkommen, zuvor bei einem Gang durch den Milchwirtschaftsraum mit der Hand berührt hat." Ort und Film können so beim Flexiblen Flimmern eine ganz neue atmosphärische Wirklichkeit bekommen. Für die Präsentation reichen Kraus dann ein schlichter Beamer und die DVD.

Kraus, der Germanistik und Philosophie studierte und deutlich jünger als 40 wirkt, hat seine Filmperlen an vielen besonderen Ort strahlen lassen. Zu seinem Konzept gehört es, dass er jeden Film zum Ereignis macht: Dazu zählt die Dekoration, die auf den Film einstimmt und natürlich das passende Essen, das serviert wird, manchmal auch kleinere Aktionen, die schon mal einen Kommentar zum Film abgeben. Kraus hat ein Händchen für Stimmungen, doch er achtet darauf, nicht in Konkurrenz zum Film zu treten. Selten nutzt er Special Effects wie den Kunstnebel, den er einmal zu Bergmanns "Das siebte Siegel" aufsteigen ließ. Multiplexkinos bezeichnet der eloquente Filmfreund als "Filmautobahnen": "Längeres Verweilen außerhalb der klebrigen Popcornschlangen sei doch nicht geplant, sonst gebe es Stau - es fehle an allen Ecken an Kreativität und Flexibilität."

Kraus blaue Augen gucken verschmitzt und amüsiert. Das Leben als Flimmerer fordert eine ganze Menge Idealismus. Doch Kraus, der dafür eine sichere Existenz als Event-Planer mit gutem Salär aufgab, lässt auch das "Merkantile" nicht ganz außer Acht. Mittlerweile kann er von den Liebhabervorstellungen leben, denn die Spielorte bekommt Kraus stets mietfrei. Die meisten Partner haben inzwischen verstanden, dass das mobile Stimmungskino Besucher an Orte lockt, die sie sonst nicht aufsuchen würden und das als Marketingmaßnahme erkannt. Kraus liebstes "Flimmerereignis" war übrigens "Der Sammler und die Sammlerin" von Agnès Varda, den er in der vollgestopften Wohnung eines notorischen Sammlers am Schulterblatt nebst philosophischem Essay über das "Recht zu sammeln" darbot.

Termine: "Herbstmilch" am Sonntag, 16. August, 17 und 21 Uhr, Mittwoch 19. bis Sonntag 23. August, je 21 Uhr im Elbinsel Museum Wilhelmsburg, Kirchdorfer Straße 163, 8 Euro. Warme Kleidung mitbringen! Anmeldung: holgerkraus@flexiblesflimmern.de