Zwischen massiven Betonstelen bahnen sich die Besucher ihren Weg durch ein wildes Terrain.

Waltershof. Es war ein Highlight im Leben des Experten: Wann darf er sonst ungebremst aus seinem Fundus schöpfen und radikal seine Tunnelsicht ausbreiten? Wann darf der Feng-Shui-Experte seine Expertise über Altenwerder, genauer über eine Säulenhalle unter der Autobahnausfahrt der A 7 zwischen Waltershof und Moorburg mitteilen? Und wusste der Imker gleich, was er an diesem Ort unter der Autobahn sollte, an dem er schließlich sogar Obstbäume für seine Bienen erspähte? Martin Kohler, der mit einem kleinen Team vor sechs Jahren die Hafensafari als temporäre Kunstaktion ins Leben rief, widmet sich Orten im Hamburger Hafen, die sich in Veränderung befinden. Zum Auftakt der aktuellen Hafensafari hat er bewusst "Tunnelsichten" von Experten zum neuen Ort eingeholt. "Wie viele Wahrheiten sind einem Platz zu entlocken?" Klar war dem Stadtplaner: Das hier ist zu komplex für eine Wahrheit.

Schauplatz: Eine 1,5 Kilometer lange Säulenhalle zwischen Waltershof und Moorburg, ungefähr auf der Höhe der Kirche Altenwerder: Massive Betonsäulen, auf der einen Seite der Truckertreff, auf der anderen Seite ragen im Hintergrund die blauen Containerterminals des Hafens auf. Unter der Säulenhalle, die fast wie eine antike Tempelanlage anmutet, ist der Boden mal kahl und gänzlich ohne Pflanzen, dann wieder wuchern Büsche und Sträucher. Sogar Obstbäume gedeihen an diesem unwirklichen Ort. Die massive Betondecke strukturiert ein scheinbares Innen und Außen - und man ist von permanentem Rauschen umgeben. Ein Ort, ideal um auf Safari zu gehen: "Es geht uns darum, Orte über die Inszenierung einer Safari als neu vorzustellen, als unbekanntes und wildes Terrain." Vier Wochenenden wird sich die diesjährige Hafensafari Zeit nehmen, um mit den Aktionen von vier Künstlergruppen dem Ort unter der A 7 Perspektiven abzugewinnen: Surfing A 7 heißt das Motto.

Kann man einen Ort analog zum Surfen wahrnehmen, also in einer Art Navigationsbewegung, die prozesshaft, nicht abschließend einen Raum erschließt? Die so wie ein Surfer, der die Wellen und die Brandung liest, einen Ort erfährt: einmalig und im Augenblick? Die Veranstalter der Hafensafari haben im Vergleich zu den Vorjahren ein wenig am Konzept geschraubt und das Reflexionsniveau angehoben: Anders als bei den vorangegangenen Hafensafaris haben die Initiatoren aus verschiedenen Disziplinen dieses Mal den Ort in seiner Komplexität belassen. Gab es früher temporäre Installationen an Orten wie der HafenCity, am kleinen Grasbrook, im Harburger Binnenhafen, am Fuß der Köhlbrandbrücke oder am Reiherstiegk1nie, also konkrete Eingriffe und Interventionen, entsteht die Aktion diesmal erst im Beisein der Besucher, in der Bewegung (Surfs) der vier künstlerischen Expeditionen.

Gleich am kommenden Wochenende schickt man die Experten unter die A 7: Kohler und sein Team haben an Stelle der befragten Experten Schauspieler gesetzt, die die Sicht der Spezialisten nachspielen. Es gilt, dem Raum temporäre und subjektive Wahrheiten zu entlocken. Imker, Brückenbauer, Stadtplaner, Feng-Shui-Meister, Ökologen, und Hafenbetriebswirtschaftler warten auf Zuhörer (Sa./ So. je 15, 16 und 17 Uhr).

Kohler, der mit khakifarbenem Cap und Fliegersonnenbrille gerade einen Espresso stürzt und im normalen Leben an der HafenCity-Uni eine Doktorarbeit über (wen wundert es) experimentell-kreative Prozesse in der Stadtplanung schreibt, hat tatsächlich einen spannenden Ort ausgegraben: Selbst Beuys hatte sein Augenmerk auf Altenwerder gelegt : Auf den Spülfeldern des von der Hafenplanung vertriebenen ehemaligen Fischerdorfes, sollte einst sein "Gesamtkunstwerk Freie und Hansestadt Hamburg" entstehen, das schließlich 1984 von Bürgermeister von Dohnanyi gekippt wurde. Südlich des Safari-Areals entsteht jetzt das Kohlekraftwerk Moorburg. Die Säulenhalle neben dem Truckertreff wirkt da wahrhaftig wie eine letzte Bastion ohne Begehrlichkeiten: ein Ort außerhalb des Nützlichen.

Treffpunkt der Expeditionen ist der blaue Container am Truckerstreff auf der Shell-Tankstelle (Altenwerder Hauptdeich 22), A7 Abfahrt Waltershof. Karten für 5 Euro.