Roydorf. "In Zeiten des kleinen Geldbeutels ist es einen Versuch wert, sich auf Dinge zu konzentrieren, die sich vor langer Zeit schon bewährt haben." Das sagt sich Hans-Heinrich Rüschmeyer (54), der mit seiner Familie Champignonkulturen in Roydorf in einem modernen Betriebsgebäude zieht. Um frische Champignons mit Wurzel geht es ihm. Seit mehr als 35 Jahren wurden Champignons bei der Ernte von ihrer Wurzel abgetrennt und ausschließlich ohne Wurzel vermarktet. "Die Konsumenten wollten sich nicht die Mühe machen, die Pilze zu putzen." Der Verbraucher bevorzugte die topffertige Ware. In den Nachbarländern Frankreich und Dänemark wurden die Champignons immer mit Wurzeln vermarktet. Der Vorteil, erläutert der Roydorfer, das Gemüse bleibe länger frisch und behalte das volle Aroma. Bei sorgfältiger Reinigung des Gemüses mit einer Bürste ließen sich die Wurzelreste mühelos entfernen. "Da in der heutigen Zeit durch längere Lieferwege vom Züchter zum Verbraucher der Frischpilz leidet, ist es eine gute Alternative, den Champignon mit Wurzel anzubieten." Durch geringere Erntekosten und Vermeidung des Gewichtsverlustes durch den Abschnitt werde diese Champignonqualität in der Regel 15 Prozent billiger angeboten. "Der Kunde bekommt mehr fürs Geld." Erste Versuche der Distribution des Champignons mit Wurzel in Ein-Kilogramm-Verpackungen im Hamburger und Lüneburger Raum erwiesen sich bereits als erfolgreich. Vom 6. Dezember bis heute verkaufte Rüschmeyer eine halbe Tonne.
Im Jahre 1948 begann auf dem Rüschmeyer-Hof in Roydorf die Champignonzucht. Vater Helmut, Kohlenhändler und Landwirt, hatte diesen Zweig des Gemüsebaus während der Kriegsgefangenschaft in Belgien kennengelernt und nach seiner Heimkehr die ersten Anfänge gestartet. Später, als zu den Kohlen im Handel das Heizöl hinzukam, stand die Familie vor der Frage, wohin der wirtschaftliche Weg gehen sollte. Die Entscheidung fiel auf die Pilzkulturen.
Es wurde viel probiert, Champignons in der Kartoffelkiste im Keller gezogen, später in billigeren Fischkisten. Sogar keimfreie Mülltonnen wurden mit Pilzkulturen besetzt. Im Jahre 1979 stellten die Roydorfer dann auf holländische Stellagen-Kulturen aus Aluminium um, die aus hygienischen Gründen besser zu pflegen sind. Kartoffel- und Fischkisten hatten ausgedient, da das Holz oft mit Chemikalien behandelt war, die auf die Ware übergingen. In Holland und Dänemark holte sich der junge Rüschmeyer seine Fachkenntnisse für die Pilzzucht. "Arbeiten von morgens bis abends, und dafür mußte ich noch 700 Mark Lehrgeld im Monat zahlen. 1984 übernahm Hans-Heinrich Rüschmeyer dann den elterlichen Betrieb.
Schon mit 18 Jahren besorgte sich Rüschmeyer einen Gewerbewanderschein und verkaufte direkt die frisch geernteten Pilze, indem er mit dem Auto Kunden nach der Tagesarbeit ansteuerte. Mit einem Bankkredit schaffte er sich ein größeres Auto, einen Mercedes, an, baute die Rücksitze aus, und stapelte dort die Champignon-Behälter. So vergrößerte der Roydorfer von Tag zu Tag sein Vertriebsgebiet, wenig später beteiligte sich seine Schwester am Geschäft. Und mit diesem System, Flexibilität, Freundlichkeit und Fleiß, florierte das Unternehmen. Im Jahre 1994 baute Rüschmeyer dann den neuen Betrieb am Ortsrand von Roydorf auf. In diesem Gebäude gibt es acht Kulturräume. Die Firma erzeugt 17 bis 20 Tonnen Champignons im Monat. Fast täglich, wenn nötig auch sonntags, pflücken umschichtig 15 türkische Frauen, die in der Umgebung wohnen, die nachgewachsenen weißen Fruchtkörper. Wöchentlich wird ein Kulturraum mit durchwachsenem Kompost gefüllt und mit Deckerde aus Torf und Schlämmkreide überschüttet. Nach 21 Tagen kann die sogenannte erste Welle, nach weiteren acht Tagen die zweite und nach noch einmal acht Tagen die dritte Welle geerntet werden.
Im Gebiet zwischen Hamburg, Kiel, Lübeck, Hannover und Bremen vermarktet die Familie die Champignons. Stadt- und Volksfeste werden mit den "Pilzpfannen"-Ständen beschickt, der Einzelhandel wird beliefert, der Partyservice bezieht ebenfalls die Champignons aus Roydorf, und mit zehn Prozent der Produktion ist auch die Konservenindustrie beteiligt. Auch wenn alle drei Kinder inzwischen in anderen Berufen tätig sind und zum Teil eigene Familien haben, bei einem Besuch zu Hause in Roydorf wird mitgeholfen.
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