Der Finkenwerder Leder-Künstler

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Adolf Brockmann

Handwerk: Mario Marquardt (54) ist mehr als nur Sattler. Er verschönerte schon das Hamburger Rathaus und arbeitete sogar schon für Könige.

Finkenwerder. Jeden Morgen fährt er von Finkenwerder aus mit dem Auto über die Köhlbrandbrücke in Richtung Hamm. Wenn die Straßen verstopft sind, dann nimmt Mario Marquardt "den Dampfer", steigt an den St.-Pauli-Landungsbrücken in die U-Bahn um. Er fährt zur Diagonalstraße. Und dort taucht der 54-Jährige ein in eine Welt, die so gar nicht zur Hektik einer Millionenstadt wie Hamburg zu passen scheint. Wo sonst in Hamburg wird noch mit Werkzeugen gearbeitet, die vor weit über 100 Jahren hergestellt worden sind? Bei der Vanino & Henkel KG, deren Mitinhaber Mario Marquardt ist, wird noch nach alter Väter Sitte gearbeitet. Einen solchen Betrieb gibt es, so der bärtige Finkenwerder, in ganz Deutschland nicht mehr. Und Lehrlinge? Fehlanzeige. "Welchen Beruf sollte der lernen?" fragt Marquardt, "er müsste zehn Berufe lernen." Marquardt selbst ist auch erst spät in die Punzer-Werkstatt gekommen. Der Finkenwerder ist lange auf Schiffen der Hapag zur See gefahren. Die Punzerei war so etwas wie sein Hobby. Doch an Land hat er dann mit 39 Jahren noch eine Sattler-Lehre angefangen. "Mit allem drum und dran", wie Mario Marquardt sagt.

In der Werkstatt, in der auch Kurt Henkel (70) noch tätig ist, fühlt er sich wohl, auch weil kein Tag wie der andere ist. Marquardt ist so etwas wie ein Lederkünstler. Und darum schwört er auch auf alte Werkzeuge. "Das älteste ist von 1841", sagt er. Und dann erzählt er, was er alles schon hergestellt hat. Und vor allem auch für wen.

Im Hamburger Rathaus gibt es mit Leder bespannte Stühle und auch Ledertapeten, denen er das Hamburger Wappen eingestanzt hat. Er hat Sättel geschaffen, Schreibmappen mit Finkenwerder Wappen, zuletzt 18 Stühle für einen Ruderverein in Hameln. Aber auch nach Bayern gehen die Arbeiten des Punzers. Er hat für den CDU-Ex-Generalsekretär Heiner Geißler gearbeitet, für den Scheich von Bahrain, der eine Stuhlserie für seinen Harem fertigen ließ.

Für das Schloss Neuwied und den Hamburger "Michel" führte er ebenfalls schon Aufträge aus, für den König von Thailand Schreibunterlagen, für Leonid Breschnew einen außergewöhnlichen Gewehrkoffer. Aber auch 125 lederne Löscheimer hat er für ein Jubiläum genäht und verziert und auch einen "Sattel" für ein Motorrad der Marke Moto Guzzi.

Einen echten (Pferde)"Sattel" will er am 13. und 14. März mit zum Frühjahrsmarkt der Kunsthandwerker in das Freilichtmuseum am Kiekeberg nehmen. Auch einige alte Stühle, einen Löscheimer, Gürtel, Schreibmappen und andere Schaustücke. Und natürlich Werkzeuge und Fotos von prächtigen Arbeiten, die der frühere Seemann in seinem neuen Beruf hergestellt hat. Am Kiekeberg ist er einmal im Jahr. "Eigentlich Helga Johannsen zu liebe. Die habe ich schon schätzen gelernt, als sie noch in Moisburg Ausstellungen organisiert hat", sagt der Punzer. Früher hat er auch noch in Finkenwerder beim Weihnachtsmarkt an der Süderelbe ausgestellt, im Museum in Volksdorf. Heute tut er das allerdings nicht mehr. Er schafft schon jetzt kaum sein Pensum, und er sitzt auch lieber an der Nähmaschine oder der uralten Kniehebelpresse in der Werkstatt. Bei ihr kann Marquardt den Druck noch gefühlvoll mit der Hand regulieren. Bei modernen Pressen ist das längst nicht mehr möglich. Aber mit dem Prägen allein ist es ja nicht getan. Vorher muss erst einmal die Prägeplatte hergestellt werden. Und auch das geschieht in Handarbeit.

Wie das alles geschieht? Mario Marquardt wird auch das gern erzählen, wenn er wieder im Kiekeberg-Museum ist. Gleichzeitig Reden und Arbeiten - der Finkenwerder kann das. Er ist ja schließlich "eigentlich in zehn Berufen zu Hause". Und außerdem irgendwie ja auch noch auf den Weltmeeren, die er bereist hat.

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