Seevetal. Die Idylle stimmt so wohl nicht. "Wenn zu Ostern Fotos von süßen Lämmchen zu sehen sind, die von Kinderhänden gestreichelt werden, ist das Leben der süßen Kuscheltierchen längst vorbei. Der Beruf des Schäfers verroht die Menschen", sagt Günter Garbers. Eine Aussage, die erstaunt - denkt man bei Schafhirten eher an Eigenschaften wie Friedfertigkeit und Naturverbundenheit. "Alles Quatsch", sagt Garbers, "das sind Klischeevorstellungen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben."
Der Seevetaler (57) weiß, wovon er spricht, denn er selbst ist ausgebildeter Schäfer. Seinen Beruf gab der Hirte auf. Er verkraftete es nicht mehr, seine Tiere zu töten oder auf die Schlachtbank zu schicken. Heute gewährt er 70 Tieren das Gnadenbrot.
Günter Garbers hat eine typische Sozialisation auf dem Land durchlaufen. Er wuchs als Sohn eines Landwirtes in Asendorf bei Jesteburg auf. Nach der Schule und einer Gärtnerlehre studierte er Landschaftspflege. 1974 schaffte er sein Diplom, heuerte anschließend bei einem renommierten Hamburger Planungskontor an. Ein Jahr später hatte er "von der Büroluft und den stinkenden Autoabgasen die Nase voll" und kündigte. "Ich kam vom Land und konnte den Großstadtmuff nicht ertragen." Garbers tauschte die Metropole gegen die Provinz. Auf einer Weide im Spessart begann er die Ausbildung zum Schäfer. "1980 stand ich dann zum ersten Mal auf dem Deich."
Irgendwann konnte Garbers das Töten nicht mehr ertragen - sein Sinneswandel setzte Mitte der 1980er-Jahre ein: "Ich war damals mit einer Vegetarierin zusammen, die mein Bewusstsein im Umgang mit Tieren geschärft hat." Einmal habe sie ihn gefragt, ob er sie mit seinen blutverschmierten Händen überhaupt noch anfassen möge - "Das hat gesessen." Bald darauf hatte er einen Scheck über 15 000 Euro in der Tasche, nachdem die Lämmer in den Lastwagen verladen worden waren. "Aber ich hatte zum ersten Mal Tränen in den Augen", sagt Garbers.
In diesem Moment habe er realisiert, dass er sein Leben ändern müsse. Der knorrige Hirte gab seinen Beruf auf und lebt seitdem vom Verkauf von Biogemüse auf Hamburger Wochenmärkten am Goldbekufer (Winterhude) und in Wilhelmsburg.
Seine wuscheligen Rasenmäher haben schon lange als Fleischlieferanten ausgedient - sie dürfen bis zu ihrem natürlichen Tod weiterleben.
Neben der Versorgung der Schafe engagiert sich der kauzige Ex-Hirte für den Tier- und Klimaschutz. Garbers verteilt an Info-Tischen Material gegen Massentierhaltung, schreibt Leserbriefe gegen Schlachter, meldet sich in Radiodiskussionen zum "Klimakiller Methan" zu Wort und nimmt an Tiergottesdiensten teil.
Als wortgewaltiger Kronzeuge gegen "mordlustige Hobbyjäger" führt er in Talkshows ("Vera am Mittag") das Wort.
Garbers hat sich still aus der Schäferei zurückgezogen, ohne mit seiner Zunft lautstark abzurechnen: "Ich wollte kein Judas sein." Doch was er sich auf Nachfrage an Details über seinen Berufsstand entlocken lässt, treibt Zuhörern kalte Schauer über den Rücken. Er beschreibt die Mehrzahl seiner ehemaligen Berufskollegen als raue, bisweilen gefühllose Gesellen und verleugnet nicht, dass die Jahre als Schäfer auch ihm den Stempel aufgedrückt haben.
Eines aber hat er nie gemacht: "Hunde aufgehängt! Darüber redet nur keiner." Nicht gängige Hütehunde, wie sie im Fachjargon heißen, werden bisweilen erschlagen oder erschossen, wenn sie nicht mehr funktionieren. "Einigen Tieren wird die Kehle durchgeschnitten, andere werden an Bäumen aufgehängt", sagt Garbers. Seit mehr als 20 Jahren isst er nun schon kein Fleisch mehr, seit 15 Jahren lebt er vegan: "Ich habe etwas gutzumachen." Auf dem Speisezettel steht seitdem ausschließlich Rohkost - 30 Prozent Gemüse, 70 Prozent Obst. "Das ist gesund und belastet die Umwelt am wenigsten, weil die Nahrung nicht gekocht werden muss" Das durch Wind und Wetter in Falten gelegte Gesicht und der graue Bart täuschen: Von Mangelernährung keine Spur - der Veganer ist fit wie ein Turnschuh. Zurzeit trainiert er für seinen vierten Marathon am 26. April in Hamburg.
Nicht nur der Kampf gegen den inneren Schweinehund, auch der für Klima und Kreatur wird weitergehen.
Bald will Garbers in Wilhelmsburg einen Biogemüse-Laden eröffnen - mit einer Informations-Ecke zum Themenkreis Ernährung, Tierrechte und Klima. "Wenn alle Fleischproduzenten meinen Weg gehen würden, wären wir im Umweltschutz und bei der Vermeidung von Tierleid schon wesentlich weiter", lautet seine etwas andere Osterbotschaft.
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