Mehr als 90 Menschen scheuchen Grabschmuck fressendes Wild vom Neu Wulmstorfer Friedhof. Sie waren vor einem Jahr zur Plage geworden.

Neu Wulmstorf. Der Friedhof in Neu Wulmstorf gilt jetzt als von Rehen befreit. Mehr als 90 Männer, Frauen und Kinder haben am Donnerstagabend in einer gemeinsamen Aktion von Gemeinde, Feuerwehr und Heidesiedlerverein drei Wildtiere von dem parkähnlichen Gottesacker verscheucht. Seit neuestem schützt ein zwei Meter hoher Zaun den Friedhof vor Wildverbiss, den die Gemeinde für 20 000 Euro bauen ließ. Er gilt selbst für die sprungstarken Tiere als unüberwindbare Hürde.

Vor mehr als einem Jahr hatten Rehe den Friedhof als ihr Revier entdeckt und waren zur Plage geworden. Die Tiere fraßen mit Vorliebe die Blüten der Blumen, die Trauergäste auf die Gräber legten. Wegen des zerstörten Grabschmucks hagelte es Beschwerden im Rathaus. Von einem Wildgehege war die Rede. Die Rehe hatten den richtigen Riecher beweisen: Denn die Jagd ist auf dem Friedhof verboten. Das Scheuchen aber nicht - und so kamen am Donnerstagabend mehr als 90 Menschen zusammen, um die hungrigen "Grabschänder" zu vertreiben.

"Wir bilden eine Menschenkette, möglichst breit, mit vier bis Meter Abstand", gibt Manfred Koch von der Gemeindeverwaltung dem Treiberhaufen Struktur. An diesem Abend gilt die Friedhofsruhe nicht: "Leise sollten wir nicht unbedingt sein", sagt der Fachdienstleiter Immobilien, sozusagen Hausherr auf dem gemeindeeigenen Friedhof. Die "Friedhofswehr" zieht los, die Menschen klatschen in die Hände, um das Wild aufzuscheuchen. Vereinzelt ist ein lautes, langgezogenes "Yeeha" zu hören, der Ruf der Cowboys. Der Plan sieht vor, die Blumenfresser aufzuspüren und über das abschüssige Gelände hinunter zu dem geöffneten Tor bei der Kapelle zu treiben. Experten hatten das empfohlen. Doch die ungeübte Menschenkette verliert an Struktur, wirkt desorganisiert. Schnell wird klar: Der 72 000 Quadratmeter große Friedhof ist mit dem Häuflein Menschen nicht abzusperren. Genügen Fluchtwege bleiben. "Die Rehe sitzen auf den Bäumen und lachen sich kaputt", spottet jemand.

+++ Wer macht das schönste Blütenbild auf dem Friedhof? +++

Einzelne schlagen sich in die Büsche, weil sie dort das Wild vermuten. Nach 20 Minuten fehlt von den Rehen immer noch jede Spur. Dann ein Aufschrei: Aufgescheucht springt ein Schmalreh oder ein Kitz, so genau weiß das niemand, in atemberaubendem Tempo an einigen Treibern vorbei. Nur Sekunden ist das Wildtier zu sehen. Aber von jetzt an ist klar: "Es ist kein Phantom-Reh", ruft Tobias Handtke. Der SPD-Fraktionsvorsitzende ist neben Rosy Schnack (SPD) und Manfred Karthoff (FDP) einer von drei Gemeinderatsmitgliedern, die mithelfen. Von einem gezielten Treiben in eine Richtung kann keine Rede sein. Die Rehe jagen ab und an blitzschnell durch die Reihen. Man hätte Hunde mitnehmen sollen, rät ein Mann, der das Szenario beobachte.

Nach etwa einer Stunde helfen der Zufall und einige spurtstarke junge Feuerwehrleute, dass drei Rehe sich durch die beiden mittlerweile geöffneten Tore im Norden und Süden des Friedhofs vom Hof machen. "Der Friedhof gilt jetzt als rehfreie Zone", sagt Gemeindesprecher Michael Krüger. Ob tatsächlich alle Wildtiere das Weite gesucht haben, räumt er ein, würden erst die nächsten Tage zeigen. Rätsel wirft nämlich ein ominöses viertes Reh auf, das einzelne Friedhofsbesucher in der Vergangenheit gesehen haben wollen. Sollte es sich tatsächlich versteckt haben, wenn es denn existiert?

Dass eine Ricke und ihr Kitz, die in verschiedene Himmelsrichtungen vertrieben wurden, wieder zueinander finden, hält Jagdpächter Karl Hartmann für sicher. Das Muttertier und das Kleine würden bestimmte Laute ausstoßen und so kommunizieren. Die Wahrnehmungsfähigkeit der Tiere, sagt er, sei viel ausgeprägter als bei uns Menschen.

Der Experte schließt nicht aus, dass die Rehe auf den Friedhof zurückkehren. Die Vergrämungsaktion jage den Tieren keinen Schrecken fürs Leben ein - und die nur 1,50 Meter hohen Zutrittstore könnten sie überwinden.