Blindenverein bemängelt Arbeitsbedingungen für Sehbehinderte. Arbeitsagentur: “Gute Vermittlungsquote“

Lüneburg. Zwanzig Zentimeter große Buchstaben flimmern über den Monitor. Vorsichtig scrollt Auren Charo mit dem Joystick weiter, schiebt den leuchtend gelben, riesigen Mauspfeil über das Wort. "Moment, ich verbinde!", sagt sie, drückt auf Return und nimmt das Headset ab. Die 47-Jährige kann nur nebulöse Umrisse erkennen: Sie leidet an juveniler Makuladegeneration, einer Sehstörung, bei der vor allem das zentrale, scharfe Sehen beeinträchtigt wird. Seit 17 Jahren arbeitet Auren Charo in der Telefonzentrale und dem Fundbüro der Leuphana Universität.

Sie ist eine schlanke Frau, zimtbrauner Strickpulli, helle Hose, rotbraunes, glattes Haar. Das Auffälligste an ihr ist nicht der Blick, der häufig an einem vorbei gleitet, sondern vielmehr ihre Ausstrahlung: Auren Charo wirkt unglaublich entspannt und freundlich. Es scheint, als sei die Bedächtigkeit, mit der sie sich bewegen muss, in ihr Wesen übergegangen.

Auch ihren Job erledigt Charo mit Gelassenheit. Mit weicher, warmer Stimme meldet sie sich am Telefon, das permanent klingelt. Meist wollen die Anrufer mit Angestellten der Uni verbunden werden. Manchmal sind es aber auch Studenten, die Schlüssel, Brille oder Handy verloren haben. "Wer etwas vermisst, muss vorbeikommen und es selbst raussuchen. Am Telefon kann ich nicht helfen", sagt Charo Schultern zuckend. Sensible Gegenstände gibt sie aber nicht einfach so heraus. "Meine Kollegin beschreibt mir genau, wie die Fundstücke aussehen. Wer also ein Handy von mir haben möchte, muss es mir ganz genau beschreiben können." Probleme oder gar Anfeindungen habe sie sehr selten erfahren, sagt die Lüneburgerin. "Spediteure werden manchmal frech. Die haben es immer sehr eilig und halten mir irgendeinen Zettel unter die Nase, den ich sofort quittieren soll." Ob sie nicht lesen könnten, frage sie dann immer: Ein gelbes Schild weist auf ihre Beeinträchtigung hin. "Frau Charo ist stark sehbehindert. Bitte nennen Sie Ihren Namen und Ihre Wünsche!" steht darauf geschrieben.

Es ist nicht selbstverständlich, dass Sehbehinderte sich in ihrem Job so wohlfühlen wie Auren Charo. "Da hat sie Glück gehabt", sagt Karl Hanstedt, Regionalleiter des Blindenvereins. "Ich höre immer wieder, dass Leute massive Probleme haben, einen guten Job zu finden oder sich darin zu behaupten." Für die in Stellenanzeigen übliche Formulierung "Behinderte werden bei gleicher Eignung bevorzugt" hat er nur ein Schnauben übrig. "In der Realität muss man als Behinderter einfach besser sein als die anderen." Er kenne einige Blinde, die irgendwann resigniert hätten.

Carolin Wills, Leiterin des Reha-Teams bei der Lüneburger Arbeitsagentur, kann dies nicht glauben. "Seh- oder anderweitig behinderte Kunden sind gut vermittelbar", sagt sie. Sie bekämen gute, qualifizierte Jobs und würden diese meist auch längerfristig behalten. "Wir achten bereits bei den Beratungsgesprächen sehr darauf, dass wir eine Ausbildung oder Umschulung finden, die zum Bewerber passt und auch gute Beschäftigungsaussichten verspricht."

Auch Auren Charo hat diesen Weg durchlaufen. Mit acht Jahren wurde ihre Krankheit festgestellt, mit 13 kam sie nach Hamburg in ein Internat für blinde und sehbehinderte Kinder. Es folgte eine Ausbildung zur Masseurin und medizinischen Bademeisterin in Mainz. Wegen Problemen mit den Sehnenscheiden musste sie mit 27 Jahren umschulen und lernte in einem beruflichen Bildungszentrum für erwachsene Blinde und Sehbehinderte bei Würzburg Telefonistin. Als solche arbeitete sie zuerst bei der Uelzener Stadtverwaltung und seit nun 17 Jahren an der Leuphana Universität. Ein geradezu klassischer Lebenslauf.

Denn besonders viele Behinderte arbeiten wie Auren Charo im öffentlichen Dienst. 5,1 Prozent (Harburg: 4,8 Prozent) aller Arbeitnehmer waren hier im Jahr 2009 behindert, bei den privaten Arbeitgebern waren es nur 2,9 (2,6) Prozent. Anders ausgedrückt: Von den insgesamt 1046 (Harburg: 1029) Jobs im Kreis Lüneburg, die laut gesetzlicher Quote in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten an Menschen mit Beeinträchtigungen vergeben werden müssten, waren nur 767 (648) tatsächlich von Behinderten besetzt. Wer als Arbeitgeber sein Soll nicht erfüllt, muss eine Ausgleichsabgabe von bis zu 260 Euro monatlich bezahlen.

Um die Quote noch weiter zu senken, setzt man bei der Arbeitsagentur auf Aufklärung. "Wir versuchen Arbeitgeber über die vielfältigen Möglichkeiten der Integration zu informieren", so Sprecherin Susanne Serbest. "Manche Arbeitgeber achten mehr darauf, was ein behinderter Bewerber nicht kann als auf das, was er kann."

Wenn der Arbeitsplatz entsprechend ausgestattet ist, kann auch ein Behinderter hervorragende Leistungen abliefern, das beweist Auren Charo tagtäglich. Ihre Büroecke sieht anders aus als die der Kollegin - nicht nur, weil an den Wänden keine Fotos und Notizen hängen. Riesige Buchstaben und kleine Knubbel helfen bei der Orientierung auf der Tastatur. Schriftstücke kann sie sich mit einer Art Overhead-Projektor stark vergrößert und kontrastiert auf den Bildschirm holen. "Auf Dauer ist das aber anstrengend", sagt sie. Deshalb arbeite sie nur halbtags.

Der größte Unterschied zu einem "normalen" Arbeitsplatz ist aber eine schwarze Platte unter der Tastatur, aus der eine Art kleiner weißer Pickelchen schießen. "Das ist die Braillezeile", erklärt Charo, "die übersetzt Nachrichten in Blindenschrift". Winzig klein sind die sechs Knubbelchen, die je nach Kombination einen Buchstaben ergeben. "Man braucht schon zarte Finger", sagt sie lachend, "ein Maurer mit dicker Hornhaut hat da ein Problem."