Lebensgefährliche Attacke auf einen 41 Jahre alten Mann am Schlossmühlendamm in Harburg. Die Haupttäter sind immer noch auf der Flucht.

Hamburg. Sie sind die Schlüsselfiguren, die noch fehlenden Teile in einem Puzzle, das die Mordkommission derzeit mühsam zusammenzusetzen versucht: ein leicht untersetzter Mann, bekleidet mit einem rosafarbenen Hemd, und sein Begleiter, der eine beigefarbene Strickjacke trug. Augenzeugen sahen die beiden am Freitagabend schnellen Schrittes in Richtung Schwarzberganlage laufen. Und wer genauer hinsah, der konnte leicht auf den Gedanken kommen, dass die beiden Südländer auf der Flucht waren.

Auch drei Tage nach dem brutalen Angriff, bei dem die Männer den 41 Jahre alten Joseph M. mitten auf dem Schlossmühlendamm im Harburger Zentrum aus einem Auto zerrten und auf ihn einstachen, sind die mutmaßlichen Haupttäter noch nicht gefasst: Zumindest einer der beiden Flüchtigen soll das Messer geführt haben, mit dem das Opfer schwer verletzt wurde. Die Tatwaffe ist mit den Verdächtigen verschwunden. Doch die Ermittler hoffen auf einen schnellen Fahndungserfolg, zumal zahlreiche Augenzeugen den Überfall nicht nur ansahen, sondern ihn auch filmten oder per Kamera dokumentierten.

+++ Rätselhafte Messer-Attacke auf 41-Jährigen +++

Diese Aufnahmen könnten auch die drei Komplizen des Messerstechers stärker belasten. Sie wurden nach ihrer vorläufigen Festnahme am Tatort bereits wieder freigelassen: Den aus einer serbischen Familie stammenden 18, 23 und 26 Jahre alten Männern konnte nach Angaben der Staatsanwaltschaft bislang nicht nachgewiesen werden, welche Rolle sie bei dem Überfall spielten - ersten Angaben zufolge sollen sie auf Joseph M. eingeprügelt haben.

Ein Mann wurde bei einem Überfall wie in einem schlechten Gangsterfilm schwer verletzt - und dennoch ist keiner der Mittäter in Untersuchungshaft. Warum?

Es habe keinen dringenden Tatverdacht gegeben, verteidigt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers das Vorgehen der Ermittlungsbehörde, die bislang keine Haftbefehle gegen die drei Mittäter beantragt hat. Dringender Tatverdacht sei die Voraussetzung für Haftbefehle, außerdem müsse ein Haftgrund vorliegen: Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr oder Wiederholungsgefahr.

Kann man Fluchtgefahr tatsächlich ausschließen? Oder Wiederholungsgefahr? Wo noch nicht einmal feststeht, ob die Täter auch tatsächlich den Mann erwischt haben, den sie treffen wollten. Was sie entlastet: Laut den bisherigen Ermittlungen soll keiner der drei Männer, die möglicherweise mit dem Haupttäter verwandt sind, dem 41-Jährigen die lebensgefährlichen Stichwunden zugefügt haben. Und: Sie könnten den noch flüchtigen Haupttäter sogar von dem Opfer weggedrängt haben.

Es ist ein Fall, wie ihn Sigurd Sedelies, Psycho- und Traumatherapeut der Opferhilfe-Beratungsstelle Hamburg, aus der täglichen Praxis kennt - da werden Menschen Opfer einer Attacke, doch für einen Haftbefehl gegen die Täter reicht es nicht. Drei Verdächtige sind nach der Messerattacke ermittelt worden, aber bis gestern blieben sie auf freiem Fuß - aus Opfersicht sei das ein Unding, sagt Sedelies. "Die Juristen mögen da aus rechtlicher Sicht Unterschiede zwischen den Angreifern machen, aber die Opfer sind kaum in der Lage zu differenzieren zwischen demjenigen, der zusticht, und jenen, die brutal drauflosgeprügelt haben."

Die psychischen Folgen für die Opfer von Gewalttaten seien häufig verheerend, wenn die Täter nicht gleich hinter Schloss und Riegel kommen. "Die Opfer verlieren ihr Sicherheitsgefühl, sehen sich von der Justiz im Stich gelassen. Zurück bleibt das Gefühl einer riesengroßen Ungerechtigkeit, an der viele verzweifeln."

Selbst wenn die Verletzungen nicht gravierend seien, wirke das emotionale Echo nach so einer Tat häufig lange nach. Die Leidtragenden reagierten panisch, seien leicht erschreckbar und lebten in ständiger Angst, dass sich solche Geschehnisse noch einmal wiederholen könnten, sagt Sedelies. "Einige zerbrechen innerlich daran."

Unabhängig davon, ob Gewalttäter gleich weggesperrt werden - "bei den Opfern dominiert ein Gefühl der Angst und der Unsicherheit. Entsprechend hoch ist das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz vor dem Täter oder den Tätern", sagt Kristina Erichsen-Kruse vom Weißen Ring Hamburg. Psychisch belastend ist eine derartige Attacke nicht nur für das Opfer selbst. Auf der belebten Harburger Kreuzung wurden am Freitag zahlreiche Menschen Augenzeugen der Bluttat. Sie sahen und filmten, wie einer der Angreifer wieder und wieder sein Messer in den Rücken von Joseph M. rammte. Nach den ersten Messerstichen suchte der 41-Jährige Schutz im Auto zweier zufällig vorbeifahrender Frauen. Doch die Täter holten ihn ein, attackierten ihn erneut. Die Fahrerin und ihre Beifahrerin sind nach Abendblatt-Informationen noch immer schwer verstört.

"Menschen reagieren völlig unterschiedlich auf solche Situationen", sagt Professor Dr. Dieter Naber, Ärztlicher Leiter der Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am UKE. "Der eine trägt nichts davon, andere werden noch Monate später - zum Beispiel bei bestimmten Geräuschen - an das Erlebte erinnert."