Drei junge Künstler gehen in Buchholz der deutschen Seele mit “Bekenntnissen zum trauten Heim“ nach

Buchholz. Wenn Wände sprechen könnten - was würden sie dann wohl erzählen? Würden sie von Käseigel-Arien auf der Polstergarnitur, von der Sahnetorte zum Sonntagskaffee oder feuchten Küssen von alternder Verwandtschaft sprechen? "Trautes Heim", das ist ein Wort, bei dem Christoph Selke, Vorsitzender des Kunstvereins Buchholz, spontan die Mundwinkel verziehen muss. Und zwar nach unten. "Klingt nicht sehr einladend, bieder, nach familiärer Enge." Wieso? "Nach Tanten, die den Finger anlecken und sagen: Du hast da was."

Drei Künstler scheinen die Speichelfäden nicht zu scheuen. Sie hat das Thema geradezu beflügelt. An den Wänden des Buchholzer Kunstvereins lassen die Hamburgerin Marnie Moldenhauer, Michael F. Otto aus Coppenbrügge und der in Braunschweig arbeitende Stefan Mauck die gute Stube auferstehen: Augenzwinkernd, ironisch und mit einem freundlichen Gestus entlarvend. Nicht ohne Ironie wirkt es dabei, dass sie mit diesem Anliegen ausgerechnet in der Nordheide gelandet sind, im beschaulichen Buchholz, das unter Kunstfreunden nicht unbedingt als Zentrum des Weltbürgertums verschrien ist.

"Wie Menschen denken und leben, so bauen und wohnen sie", räsonierte einst der deutsche Kulturphilosoph Herder. Das könnte wohl auch der in Stade geborene Stefan Mauck unterschreiben: In seinen Werken spiegelt er Äußeres und Inneres, Haus und Bewohner und fördert hinter Fassaden so etwas wie eine Seele, ein Innenleben zu Tage.

Dafür nutzt Mauck eine Verschränkung von Text- und Bildkunst: Die Silhouetten erschreckend stereotyper Fertighäuser werden bei ihm mit Textbausteinen gefüllt, die sowohl die Konturen des Hauses nachzeichnen, als auch sehr phrasenhaft und witzig die Mentalität der Bewohner beschreiben. Das liest sich ungefähr so: "Diese Variante wurde von einem aktiven Seniorenpaar mit einem Dobermann ausgewählt." Und weiter: "Für die Kinder sind im Dachgeschoss noch zwei kleinere Zimmer als Gästezimmer eingeplant."

Maucks nüchtern-protokollarischer Zugriff auf die deutsche Wohn-Seele spießt genüsslich kleinbürgerliche Stereotype auf. Ein- und Mehrfamilienhäuser, die deutsche Vorstädte in großer Zahl zieren, beflügeln seinen Witz: Auf die Fotografie eines biederen Einfamilienhauses mit Carport und zugezogenen Tüllgardinen projizierte der mit dem Karl Schmidt-Rottluff-Stipendium ausgezeichnete Künstler den Schriftzug "nur keine Panik". Fast so als wollte er beruhigen: "Hier wohnen doch auch nur Menschen." Es entfaltet sich so eine reizvolle Spannung zwischen Stereotyp und Individualität und eröffnet sich die Frage, wie viel persönlicher Lebensentwurf eigentlich in einer Fertighaus-Schablone möglich ist?

Marnie Moldenhauer, mit Atelier in St. Georg, spricht nicht in Buchstaben, sondern bevorzugt für ihr künstlerisches Statement die Tapete: Ihre Kunst wirkt damit ornamental, dekorativ, ein wenig lieblich.

Gleich im Eingangsbereich des Kunstvereins nimmt sie das Auge gefangen: geblümt, üppig bunt, als Flower-Power-Print und 68er-Version. Glitzernd, gestreift oder auch mal kühl im Designer-Look springt die Tapisserie ins Auge, die Moldenhauer als ein Statussymbol reizt und die sie zu scherenschnittartigen Szenen und Collagen umarbeitet. Szenen, die sie kleinteilig in feinster Handarbeit aus Tapeten klebt, erinnern von der Bildsprache her an das 18. Jahrhundert und an die Goethezeit, zufällig die Geburtsstunde der bürgerlichen Kleinfamilie - ein schöner Wink.

Und der dritte Künstler im Bunde, Michael F. Otto, "leider nicht der Hamburger Versandhändler", wie Selke scherzt, "sonst hätten wir ja einen guten Sponsor an der Hand", lockt mit einem gewaltigen Bild, das eine bajuwarische Karodecke sich hinter einem bayerischen Bergidyll entfalten lässt. Weitere Motive zeigen urdeutsche Berghöfe und äsende Rehe. Als Assoziation drängt sich dem Betrachter der liebliche Ort auf, der "locus amoenus", der in der Literatur einst als idealisierte Landschaft mit Wasser, Schäfer und einem lichten Hain für die Liebenden eine feste Größe war. Ist das traute Heim der "locus amoenus" von heute?

Doch Selke und sein Kunstverein schielen künstlerisch nicht auf Harmonie. Im Gegenteil: Kunst rege viel zu selten auf: "Wir versuchen es hier zwar immer wieder, doch wann regt Kunst heute eigentlich noch wirklich auf?" Während Selke die letzten Bilder an ihren Platz in der Ausstellung befördert, sinniert er lieber noch ein wenig über die Weltsituation und über den schlechten Nachrichtenfluss: Zum Beispiel die explodierte Ölbohrinsel im Golf von Mexiko, warum erfährt man einfach nichts Realistisches über die Ausmaße der Katastrophe?

Als Kontrast zum trauten Heim läuft dieses ausgeblendete "Unheimliche" der Welt draußen wie ein Subtext zur Ausstellung mit: In einer komplexen, global vernetzen Welt, in der die Weltwirtschaft immer mehr in die Knie geht und die Umwelt grauenhafte Schäden erleidet, ist die "gute Stube" eigentlich ein unangebrachter Mythos.

Doch das Bedürfnis nach dieser Illusion wirkt wie eine Projektion all unserer Wünsche auf vier geweißte Betonwände.

Auch die Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle gilt ja nicht mehr als trautes Heim: Dass sie schließen muss und Hamburg damit in die Provinzialität abzugleiten droht, findet Selke einen Skandal. "Doch in der Zwischenzeit können die Menschen ja in den Buchholzer Kunstverein kommen", schlägt er vor und grinst.