Wegen der Arbeiten zwischen Stelle und Lüneburg müssen Anwohner den Baulärm noch bis 2014 ertragen

Stelle. Die Räder zucken, der Motor heult auf. Staub legt sich auf die Zunge. Bauarbeiter Friedhelm Hamann steuert nach links und wieder nach rechts und versucht so, die Walze rückwärts aus dem etwa zwei Meter tiefen Sandloch zu manövrieren. Aber die Räder graben sich immer tiefer in den Sand. Resigniert schüttelt Hamann den Kopf. Einige Meter weiter verfolgen Orgelbauer Martin Harms und seine Schwägerin Brita und deren Sohn das kleine Schauspiel bei den Bauarbeiten für das dritte Bahngleis. "Der kommt da nicht wieder heraus", ist sich Harms sicher, der mit seiner Orgelwerkstatt nächster Nachbar der Baustelle ist.

Die Ortschaften Stelle und Ashausen haben sich in den vergangenen Monaten in eine Riesenbaustelle gewandelt. Im Oktober 2009 hat die Deutsche Bahn AG mit den Bauarbeiten des dritten Gleises zwischen Lüneburg und Stelle und des vierten Gleises zwischen Ashausen und Stelle begonnen. Der Gleisausbau sei nötig, weil sich die Güterzüge wegen des hohen Verkehrsaufkommens gestaut hätten, sagt Thomas Zorn, Leitender Bauüberwacher der Deutschen Bahn AG. "Die Züge folgten so eng aufeinander wie bei einem Autobahnstau und mussten oft am Bahnhof warten."

Die Brücke der Kreisstraße ist schon abgerissen

Solche Wartezeiten will die Deutsche Bahn mit dem Bau des Entlastungsgleises auf dem Abschnitt Stelle-Lüneburg, der Teil der Strecke zwischen Hamburg und Hannover ist, künftig vermeiden. Baugeräte durchwühlen jetzt die Erde parallel zu den Schienen, beginnend an der Grenze zu Winsen-Gehrden. Die Brücke auf der Kreisstraße 86 in Stelle wurde abgerissen, sämtliche Eisenbahnunterführungen wurden verbreitert.

Zurzeit heben die Bauarbeiter Erdschichten am Haulandsweg in Stelle aus und füllen die Löcher mit neuem Sand auf, damit der Untergrund der Schiene auch tragfähig ist und das Gewicht von Eisenbahnzügen aushalten kann. Zwölf Lastwagenfahrer steuern die Baustelle täglich an, liefern Sand aus der Grube in Scharmbeck und fahren den abgetragenen Boden zum Entsorgungsfachbetrieb in Glinde. Dort wird geprüft, ob die Erde zum Beispiel als Humus für den Garten wieder verwendet werden kann. Wenn nicht, wird der Boden entsorgt.

Die Arbeiten liefen bislang reibungslos, sagt Bauüberwacher Zorn. Daran ändert auch die festgefahrene Walze nichts. Das Intermezzo dauert lediglich einige Minuten. Baggerfahrer Mario Schwarz rückt an, fährt neben die Walze, gibt ihr mit der Schaufel einen kleinen Schups, und schon kann Hamann seine Walze rückwärts aus dem Loch steuern. "Das kommt öfter vor", sagt Schwarz. "Man muss nur aufpassen, dass man nichts kaputt macht."

Und schon geht es weiter im Takt: Alle zehn Minuten rollt ein Lastwagen heran, parkt rückwärts vor dem etwa zwei Meter tiefen Loch. Der Sand rutscht auf den Boden, und sobald der Lastwagen leer ist, fällt die Lastwagenklappe mit einem lauten Knall zurück auf den Rahmen des Kippers.

Raupenfahrer Karl-Heinz Schlicht bringt sich dann in Stellung, um den Sand in die Grube zu schieben. Zugleich fährt der Lkw-Fahrer neben das Loch, damit Baggerfahrer Mario Schwarz das Fahrzeug beladen kann. Am Ende rollt Friedhelm Hamann mit seiner Walze heran und presst den Sand aufeinander.

Dabei darf nicht mehr Erde ausgebaggert werden als wieder herangeschafft wird. "Sonst besteht die Gefahr, dass uns das bestehende Gleis wegrutscht", sagt Zorn. Stück für Stück arbeiten sich die Bauarbeiter also in Zehn-Meter-Abständen vor.

Die Anwohner in Stelle werden in der Bauzeit auf eine harte Probe gestellt. Für sie heißt es in diesem und im nächsten Jahr: starke Nerven behalten. Denn so lange ist mit Baulärm zu rechnen. Für den Anwohner und Orgelbauer Martin Harms ist der Lärm besonders dann unerträglich, wenn er seine Orgeln stimmen möchte. Das Klötern der Raupe und Rattern der Walze dringt so weit in seine Orgelwerkstatt vor, dass er kaum einen Ton versteht. Dennoch bleibt Harms gelassen. "Es lässt sich ja nicht verhindern."

Auch Robert Isernhagen, Leiter des Bauamtes der Gemeinde Stelle, sagt, die Beschwerden hielten sich in Grenzen. Das liegt vielleicht auch daran, weil die Anwohner schon im Vorwege auf ihre Rechte gepocht haben. "Wir haben in Stelle von Anfang an gesagt, dass wir den Gleisbau nicht verhindern wollen, aber einen ausreichenden Lärmschutz bekommen möchten", sagt Isernhagen. In zähen etwa sechs Monate langen Verhandlungen hat sich die Gemeinde mit der Bahn darauf geeinigt, dass auf etwa 2,5 Kilometern eine fünf Meter hohe Lärmschutzwand gebaut wird.

Die Bauarbeiter haben ihre Wohnwagen im Ort

Auch die Bauarbeiter sagen, sie versuchen, den Bewohnern so gut es geht entgegenzukommen. In der Woche schlafen die Männer selbst in dem Ort. In Ashausen haben sie in ihren Wohnwagen ihr Lager aufgeschlagen. Nach ihrer Zehnstundenschicht lassen sie gemeinsam die Abende ausklingen. Das Trio an der Baustelle am Haulandsweg ist bei der Firma Möbius angestellt und arbeitet schon seit Jahren zusammen. Sie kennen sich nicht mehr nur als Bagger-, Raupen- oder Walzenfahrer. Baggerfahrer Schwarz ist "Mister Ouzo" und Karl Heinz Schlicht, der auf der Raupe sitzt, nennt seinen Kollegen Friedhelm Hamann auf der Walze "unsere Sekretärin". Denn Hamann händigt den Lastwagenfahrern im Auftrag der Bahn AG Belegscheine aus, dass sie Erde abtransportiert haben. Ohne diese Papiere dürfen die Fahrer die Baustelle nicht verlassen. Kein Wunder, dass Hamann von sich selbst behauptet: "Ich bin der wichtigste Mann hier."