Hamburg. Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Hand ihres (Ex-)Partners. Welche Lösung helfen könnte, das zu verhindern.

Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Und an jedem einzelnen Tag des Jahres gibt es einen polizeilich registrierten Tötungsversuch. Femizid nennen Fachleute diese spezielle Form der Gewalt. Es sind solche Verbrechen, die den Bundesvorsitzenden der Opferschutzorganisation Weißer Ring, Patrick Liesching, besonders umtreiben. Oder, wie Liesching es jetzt formulierte: Femizide seien „ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt“.

Es gebe eine Lösung, wie zumindest ein Teil dieser Kapitaldelikte verhindert werden könnte, betonte Liesching jetzt in einer Rede in Hamburg: nämlich die elektronische Aufenthaltserfassung, auch Fußfessel genannt. „Es gibt sie“, sagte Liesching in einem eindringlichen Appell. „Es fehlt lediglich die politische Umsetzung.“

Weißer-Ring-Chef in Hamburg: So wichtig ist die „Fußfessel“

Liesching ist anlässlich der Landestagung des Weißen Rings Hamburg in die Hansestadt und hier ins Hotel Grand Elysée gekommen, wo aktuelle Themen der Opferschutzorganisation besprochen und der besondere Fokus der Opferhilfe erneut betont wurde.

„Vor allem Gewalterfahrungen können ein Leben radikal verändern“, sagt Monika Schorn, Vorsitzende des Landesverbandes Hamburg des Weißen Rings, in ihrer Begrüßungsansprache „Unser Ziel ist es, die Opfer in ihrer schwierigen Situation zu stärken, ihnen Hoffnung zu geben und sie dabei zu unterstützen, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen.“

Opfer sollen ihr Leben wieder in die Hand nehmen können

Ihr Leben wieder in die Hand nehmen wollte auch eine junge Frau, von der Liesching in seiner Rede über Femizide erzählte. Das Schicksal der Medizinerin sei beispielhaft für schwerste Gewaltverbrechen gegen Frauen, mit denen er in seiner Funktion als Leiter der Staatsanwaltschaft Fulda befasst sei.

Nachdem die Ärztin die Beziehung mit ihrem Partner beendet hatte, habe dieser beschlossen, sie zu töten. Der Mann habe seiner früheren Lebensgefährtin vor ihrem Arbeitsplatz aufgelauert und sie dann – von ihr unbemerkt – verfolgt. „Sie hatte schon zu Hause angerufen und sagte, dass sie gleich da sein werde“, erzählte Liesching. Die Mutter der Frau und der acht Jahre alte Sohn der Ärztin hätten sich gefreut, sie gleich in den Arm nehmen zu können.

Femizid: Vor der Haustür begegnete die Frau ihrem Mörder

Doch es kam ganz anders. Vor der Haustür begegnete die Frau ihrem Mörder, der sie mit einem Messer angriff. „Und oben in der Wohnung“, so Liesching, „war der Sohn“. Dieser habe vergeblich auf seine Mutter gewartet. Denn der Täter hat sein Opfer mit drei Messerstichen in den Hals so schwer verletzt, dass sie daran starb.

Was den Fall besonders erschütternd mache, führte der Weiße-Ring-Vorsitzende aus, sei, dass die Frau gegen ihren Ex-Partner schon rechtliche Schritte eingeleitet hatte. Laut einer Verordnung nach dem Gewaltschutzgesetz hätte der Mann sich ihr nicht weiter als auf 800 Meter nähern dürfen. Doch diese Anordnung lief ins Leere – weil der Täter sie schlicht ignoriert hatte.

Überwachung durch Fußfessel könnte helfen

Effizient überwacht werden könnte die Umsetzung einer solchen Anordnung durch die elektronische Aufenthaltserfassung, auch Fußfessel genannt, betonte Liesching. „Die Infrastruktur dafür gibt es“, sagte der Jurist. Für die Umsetzung fehle aber „noch der politische Wille“.

Er forderte seine Zuhörer auf: „Sprechen Sie Politiker an!“ Wenn die elektronische Fußfessel konsequent eingeführt werde, könne „dadurch zwar nicht jeder Femizid verhindert“ werden, aber wenn so zumindest einige Femizide vereitelt würden, „wäre das schon großartig“.

Hamburg führt keine Statistik zu Femiziden

In Hamburg führt die Polizei keine gesonderte Statistik zu Femiziden, das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linken aus dem vergangenen Jahr hervor. Darin heißt es: „Zur Bearbeitung wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums bei der zuständigen Dienststelle (…) erforderlich.“

Zuletzt bekannte Zahlen zu Femiziden aus einer Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linken zeigen: In Hamburg gab es im Jahr 2020 einen versuchten Mord und zwei Fälle von Totschlag in Partnerschaften mit weiblichen Opfern. Im Jahr 2021 wurden zwei Frauen von Partnern oder ehemaligen Partnern ermordet, in einem dritten Fall blieb es beim Versuch.

Weißer Ring: „Hate Crime“ nimmt immer weiter zu

Ein weiteres großes Thema bei der Landestagung des Weißen Rings Hamburg war „Hate Crime“. „Es sind Hassverbrechen, die sich gegen Personen aufgrund ihrer vermuteten oder wirklichen Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe richten, also beispielsweise antisemitisch, ausländerfeindlich oder sexistisch motiviert“ seien, sagte die Hamburger Landesvorsitzende Monika Schorn.

Die Hamburger Landesvorsitzende des Weißen Rings, Monika Schorn, ist seit gut einem Jahr im Amt. Bei der Tagung betonte sie, wie wichtig es sei, „Hate Crime“ entgegenzuwirken und Vorurteile abzubauen (Archivbild).
Die Hamburger Landesvorsitzende des Weißen Rings, Monika Schorn, ist seit gut einem Jahr im Amt. Bei der Tagung betonte sie, wie wichtig es sei, „Hate Crime“ entgegenzuwirken und Vorurteile abzubauen (Archivbild). © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia

„Leider ist festzustellen, dass diese Art von Verbrechen zunehmen“, so Schorn. „Diese Taten müssen wir als symptomatisch für eine sich immer weiter aufspaltende Gesellschaft werten, in der die Freiheit der Individuen durch Bedrohung und Gewalt anderer genommen wird.“

„Hate Crime“: „Wir müssen Vorurteile abbauen!“

Deshalb sei es wichtig, dass „wir uns diesem Thema widmen“, betonte Schorn. „Wir müssen unterstützend die öffentliche Wahrnehmung schärfen, Vorurteile abbauen und zur Bildung einer toleranten und respektvollen Gesellschaft beitragen.“

Der Weiße Ring stehe allen zur Seite. „Wir stellen uns die Frage, wie wir Opfer gerade aus diesem Bereich auch noch besser beraten und ihnen helfen können. Wir wissen: Wenn man Opfer einer Straftat geworden ist, weil man einer bestimmten Gruppe zugehörig ist, ist das doppelt traumatisierend. Persönlich, aber auch die Gruppe, zu der man sich zugehörig fühlt, ist betroffen.“

Zahl der politisch motivierten Taten steigt immer weiter an

Neben Landeschefin Schorn und dem Bundesvorsitzenden Liesching richtete auch Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz (SPD) ihre Worte an die versammelten Mitglieder des Weißen Rings und betonte, dass „Minderheiten es oft schwerer“ hätten. In der Statistik stünden ausländer- und fremdenfeindliche Taten ganz oben.

Und die Zahl der politisch motivierten Taten sei deutlich angestiegen, sagte Özoguz und verwies auf den Jahresbericht des Bundeskriminalamtes, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) jüngst vorgestellt hat. Demnach erreichte die Zahl politisch motivierter Straftaten im vergangenen Jahr mit knapp 60.000 Delikten einen Höchststand seit Einführung der Statistik 2001.

„Hate Crime“: So funktioniert das „Eisbergmodell“

Auf Basis ihrer aktuellen Forschungsergebnisse zu vorurteilsmotivierter Kriminalität in Hamburg lieferten im Anschluss Prof. Eva Groß von der Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg und Prof. Joachim Häfele von der Polizeiakademie Niedersachsen in ihrem Vortrag zum Thema: „Vorurteilskriminalität – Empirische Einblicke in die Betroffenenperspektive“ Zahlen, Fakten und Zusammenhänge. Groß und Häfele erklärten, Vorurteile entstünden aus „negativen Einstellungen gegenüber einer Person, allein deshalb, weil sie als Mitglied einer Fremdgruppe betrachtet wird“.

Dies gehe mit bestimmten Stereotypen einher. Vieles bei dieser „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ (GMF) sei nicht sichtbar, sagten die Experten und sprachen von einem „Eisbergmodell“, bei dem ein Großteil des Phänomens nicht sichtbar, sondern unter der Oberfläche bleibe. Sichtbar sei nur das, was „in konkrete Handlungen mündet“.

Hamburg: Dunkelfeld von 80 Prozent bei Hasskriminalität

Umso mehr gelte es, „die Einstellungen im Bauch des Eisbergs zu identifizieren und zu analysieren, um präventiv die weniger offensichtlichen Gefährdungen der Demokratie zu ermitteln“. Für Viktimisierungen und Diskriminierungen im Sinne der GMF habe sich international der Begriff „Hate Crime“ etabliert, erläuterten Groß und Häfele.

Die Entwicklung der Zahlen des sogenannten Hellfeldes, also der tatsächlich erfassten Fälle, hätten ergeben, dass die Hasskriminalität in Deutschland deutlich zugenommen habe. Für Hamburg konnten die Professoren ein Dunkelfeld von 80 Prozent identifizieren. Das heißt, dass lediglich 20 Prozent der im Rahmen ihrer Untersuchung erfassten Fälle bei der Polizei angezeigt wurden.