Die in Hamburg lebende Französin forscht im Förderkreis Ohlsdorf und macht auch Führungen durch die 400 Hektar große Parklandschaft.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 46: Christine Behrens. Sie bekam den roten Faden von Barbara und Hasko Schmodde.

Es war ein langer Weg - und ein verschlungener. Doch wenn Christine Behrens anfängt, höchst lebendig vom Ohlsdorfer Friedhof zu erzählen, spürt man: Hier ist sie angekommen - und hat Aufgaben gefunden, die sie erfüllen. "Ein Friedhof sagt sehr viel über die umgebende Gesellschaft und über die Stadt aus. Durch die Art, wie die Lebenden mit den Toten umgehen." Sie kennt die knapp 400 Hektar große Parklandschaft gut, hat sie auf Hunderten von Fahrradkilometern erkundet. Suchen muss sie dort nichts mehr - sie findet und hat spürbare Freude, andere teilhaben zu lassen an dem, was sie weiß.

Die in Bordeaux geborene Französin, Jahrgang 1943, arbeitet seit 14 Jahren im Vorstand vom Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof mit, 1989 gegründet. Ehrenamtlich wie alle die aktiven Mitglieder, die dort das kleine Museum betreuen, die künstlerisch wertvolle Grabmale sichern, die "Ohlsdorf - Zeitschrift für Trauerkultur" vollschreiben und herausgeben. Oder die einmal im Monat Führungen anbieten, die nächste an diesem Sonntag um 13.30 Uhr mit Schwerpunkt auf den grünen Schätzen von Ohlsdorf (Kostenbeitrag 4 Euro). Wie alle also, die Lobbyarbeit machen für Europas größten Parkfriedhof.

Christine Behrens spricht mit einer charmanten französischen Klangfarbe, wenn sie erzählt, dass sie 1998 dazugestoßen ist. Gefragt um Unterstützung war ihr Mann, Ex-Schulleiter Reinhard Behrens, Bildungsstaatsrat von 2002 bis 2003. Doch der hat schon mit seinen Bienenvölkern im Garten ihres Hauses in der Nähe des nördlichen Friedhofseingangs ein ausfüllendes Hobby. Bei ihr aber gab es wieder freie Zeit: Die beiden Töchter waren aus dem Haus, Jobs beim Deutschen Afrika-Institut und bei Alfred Toepfer International liefen aus und machten den Blick frei für eigene Interessen.

Sie stammt aus einer weit verzweigten und eng verbundenen deutschstämmigen Familie in Bordeaux, ihr Urgroßvater war aus Stettin ausgewandert und hatte in Bordeaux eine Weinhandlung gegründet. Christine Behrens studierte Geografie und Geschichte, forschte in Westafrika und schrieb ihre Doktorarbeit - "summa cum laude".

Die Antwort auf die Frage, warum sie 1969 nach Hamburg kam, braucht genau zwei Wörter: "Mein Mann." Sie lernten sich in den USA kennen, als sie für Children International Summer Camps dort Kinder betreuten. Statt Forschung gab's bald Familie. Und weiter viele Reisen. Und dann waren seine Bienen dran schuld, dass ihre forschenden Augen und forschender Verstand ganz neue Ziele fanden. Wegen einer Bienengiftallergie musste sie öfter zur Immunisierung ins UKE gehen. "Ich lief immer auf anderen Wegen, entdeckte den Jugendstil an und in den Häusern. Eine Freundin hatte mich auf einer Reise nach Brüssel dafür sensibilisiert." Der Besuch bei einer Cousine in England öffnete ihr die Augen für die Arbeit der Bildhauer und für die Rosen. Sie begann zu sammeln und zu fotografieren, entdeckte auch bald, dass im 1877 eingeweihten Ohlsdorfer Friedhof dieselben Stilrichtungen, dieselben Künstler vertreten sind, die auch in Hamburgs Stadtbild Akzente gesetzt haben: "Was ich in der Stadt gesehen habe, gibt es alles auch im Friedhof", sagt sie und verweist exemplarisch auf die Skulptur "Schicksal" - eine furchterregende Frauengestalt, die die Körper zweier junger Menschen hinter sich herzieht. Ihr Schöpfer ist der Jugendstilkünstler Hugo Lederer. Von ihm stammt auch das große Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark oberhalb der Landungsbrücken.

In dieser Situation kam der Förderkreis gerade richtig, dort verknüpften sich die neuen Interessen ganz organisch: das der akkuraten Beobachterin, das der leidenschaftlichen Forscherin. Der Friedhof hat sie bald richtig gepackt. Die von Künstlern des Jugendstils und Expressionismus gestalteten Grabmale, Porträts auf Grabsteinen ("bei den Moslems ist das gerade groß im Kommen"), seltsame Grabinschriften, Familienstrukturen, die an großen Grabstätten abzulesen sind, die reiche Tierwelt des Friedhofs, die vielfältige Flora. Oder Hinweise auf Musik auf Grabsteinen. "Trauer", sagt sie, "ist ja nur ein Aspekt des Friedhofs." Sie hat im Abendblatt Traueranzeigen beobachtet - "Da stecken mindestens zwölf verschiedene Themen drin." Und die ökonomische Bedeutung des Friedhofs für das ganze Stadtviertel - die Steinmetze, Floristen, Restaurants und Hotels - "Das wäre eine wunderbare Doktorarbeit, dachte ich vor 40 Jahren."

Christine Behrens hat für das Ohlsdorfer Museum Ausstellungen zusammengestellt, über die Rosen zum Beispiel. Oder über figürlich gestaltete Särge aus Ghana. Über das Thema "Glaube, Liebe, Hoffnung", das ihr als reformierter Protestantin wichtig ist. Aber auch zu "Eva, Barbie, Aphrodite" und die Erotik mancher Frauenfiguren bei den Gräbern hatte sie die Idee. Realisiert wurden alle mithilfe der Freunde vom Förderverein und Unterstützung der Verwaltung. Meist entstehen aus ihren Beobachtungen aber informative Artikel in der Zeitschrift des Förderkreises.

Als sie anfing, Freunden vom Ohlsdorfer Friedhof vorzuschwärmen, konnten sich einige nicht vorstellen, dass man dort anderes tun könne, als die Gräber von Verwandten und Freunden zu besuchen. "Das hat sich geändert."

Sie selbst, sagt sie, ist "mit dem Tod aufgewachsen, er war präsent in der Familie meiner Kindheit." Eine Tante starb an Tbc. Ein Urgroßvater, Bürgermeister in La Rochelle, ein Onkel und ein Cousin der Großmutter wurden von den Deutschen erschossen - die Großmutter trug immer das Schwarz der Trauer. ihre Mutter starb, 45 Jahre alt, als die Tochter gerade 22 war. "Und ich möchte dazu beitragen, Wörter wie 'Friedhof' und 'Tod' zu enttabuisieren - wir sind alle sterblich geboren, und wir dürfen nicht vergessen, dass Leben und Tod zusammengehören."

Christine und Reinhard Behrens haben gehandelt: Sie haben schon 1998, da war sie gerade 56 Jahre alt, eine stattliche Grabstätte als Paten übernommen und restaurieren lassen - eine Chance, die der Ohlsdorfer Friedhof anbietet und die einigen Anklang findet. Sogar die eigenen Namen und Geburtsjahre sind dort schon angebracht. Und das Grab, "unter hohen Kiefern wie bei Bordeaux, wo wir immer im Urlaub hinfahren", ist in der Familie kein Tabuthema, sondern ein Fixpunkt: Zur Hochzeit der älteren Tochter hat sich die Familie dort noch eher zufällig versammelt, Verwandte aus Frankreich inklusive, und ein Foto gemacht. "Und jedes Mal an seinem Geburtstag trinkt mein Mann dort ein Glas Sekt - aus Freude über das Leben." Reinhard Behrens freut sich auch über die hübsche Nachbarschaft einer steinernen Dame mit Hündchen, seine Frau eher über das Uhu-Weibchen, das seit Jahren in der Nähe nistet.

Die Grabpatenschaften sollen helfen, im Ohlsdorfer Friedhof wertvolle Gräber unter den 320 000 Grabstätten zu bewahren. Denn selbst auf einem Friedhof ist nichts für die Ewigkeit geschaffen. Vieles ändert sich: Manche Grabmale stürzen um, werden nicht mehr gepflegt, Figuren werden gestohlen, "wegen des Metallwerts; manche der schönen Skulpturen sind wohl für immer verloren", sagt Christine Behrens. Einige von ihnen kann man wenigstens noch auf ihren Fotos sehen. Andere werden vom Förderkreis gerettet, gereinigt und in der Nähe des Museums aufgestellt, das im ehemaligen Retiraden-Häuschen, der früheren Toilette, am Haupteingang residiert, rechts vom Verwaltungsgebäude.

Die Friedhofsforscherin registriert auch andere Veränderungen: "Die moslemischen Begräbnisse werden immer mehr", sagt sie. "Und bei den Chinesen liegen auch die Opferfrüchte heute auf Plastiktellern."

Christine Behrens hat schon ihre Lieblingsplätze in Ohlsdorf. Beim Nordteich, beim Südteich, wenn im Mai und Juni die Rhododendren blühen. Am liebsten aber ist sie einfach unterwegs mit dem Fahrrad, nach ihrem ganz eigenen Rhythmus. "Meine Werkzeuge sind dabei die offenen Augen", sagt sie, immer bereit, Neues zu entdecken. "Natur, Kunst, Musik, Glaube - das sind die Sachen, die mir wichtig sind, und das finde ich alles auf dem Friedhof. Der Friedhof ist eine eigene Welt, ein ganzes Universum." Selbst wenn sie anderswo in der Welt unterwegs ist, besucht sie Friedhöfe - man muss ja vergleichen können. "In Südamerika stand nur ein Friedhof auf dem Reiseprogramm. Am Ende habe ich vier geschafft", lacht sie.

Vielleicht ist das forschende Auge, das ordnende Schreiben, sind die Führungen, die sie manchmal auf besonderen Wunsch und mit ihren besonderen Themen anbietet (danach kann man beim Förderverein fragen), ja auch nur ein wunderbarer Vorwand für etwas ganz anderes: "Am Fritz-Schumacher-Krematorium - dem heutigen Bestattungsforum - steht unter der großen Uhr, gut lesbar von der S-Bahn: "Eine von diesen ..." Bevor diese letzte Stunde kommt, versuche ich, nach dem Motto "Carpe diem" zu leben ("Genieße den Tag"). Der Umgang mit dem Gedanken an den Tod hilft mir, bewusster zu leben - und nicht erst, wenn Angehörige und Freunde krank werden oder plötzlich nicht mehr da sind. Wir wissen alle, dass wir sterben werden. Hier in Ohlsdorf kann man sich dem mit leichtem Herzen nähern."

Christine Behrens reicht den roten Faden am kommenden Sonnabend weiter an den Rechtsmediziner im UKE, Professor Klaus Püschel: "Weil der sich um die Toten kümmert, um den Lebenden zu dienen, und weil mich seine Arbeit neugierig gemacht hat auf den Menschen dahinter."