Hamburg. Bei einer Routine-OP bei einem Neunjährigen kommt es zu Komplikationen. Er stirbt. Der behandelnde Arzt steht vor Gericht.

Irgendetwas stimmte nicht. Die Geräusche, die der kleine Faouzane beim Atmen machte, beunruhigten seinen Vater. Wenige Minuten zuvor war der Neunjährige in einer Hals-Nasen-Ohren-Praxis operiert worden. Vermeintlich ein Routine-Eingriff, nach dem bald alles wieder gut sein würde, so hatte man es dem Vater erzählt.

Doch wenig später war nichts mehr im Leben von Faouzanes Familie, wie es sein sollte. Der Junge hatte einen Atemstillstand erlitten. Er wachte nie wieder auf. Dass ihr Sohn nicht mehr lebt, hat seine Eltern verzweifeln lassen.

Mitinhaber bekommt Geldstrafe

Jetzt, 16 Jahre nach dem folgenschweren Eingriff vom 14. März 2007, ist in einem Strafprozess ein Urteil ergangen, das zwei Medizinern die Verantwortung für den Tod des Kindes bescheinigt. Der damalige Operateur Hartmut D. (Name geändert) erhielt vom Landgericht wegen Körperverletzung mit Todesfolge eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 440 Euro, also insgesamt 66.000 Euro. Gegen seinen Kollegen verhängte die Kammer eine Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu 70 Euro wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen.

„Wir haben es hier mit einem besonders tragischen Fall zu tun“, sagt die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung. Nach einer Operation an der Nase, die nur wenige Minuten gedauert habe, sei „tragisch, dass der Junge tot ist“.

Dabei hätte der Tod des Kindes „mit Sicherheit verhindert werden können“, wenn der kleine Patient nach dem Eingriff ausreichend überwacht worden wäre, betont die Vorsitzende. Die Folgen für die Familie neben dem furchtbaren Verlust ihres Kindes: Die Eltern sind nicht mehr als Paar zusammen. Und der Vater, so sagt es die Richterin weiter, „ist ein gebrochener Mann“.

Praxis hätte keinerlei Vorgaben entsprochen

Nach dem Tod des Jungen hatte es 15 Jahre gedauert, bis sich der damalige Operateur und der Miteigner der Praxis vor Gericht verantworten mussten. Dass es überhaupt zu einem Prozess kam, ist durch die Hartnäckigkeit der Mutter des verstorbenen Kindes zustande gekommen. Sie war bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen, damit diese Verhandlung stattfindet.

Zuvor war das Verfahren mehrfach von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Allein die damalige Anästhesistin hatte sich zunächst vor Gericht verantworten müssen. Sie wurde zu einer Geldstrafe von 9000 Euro wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen verurteilt. Aber schließlich erhob die Generalstaatsanwaltschaft dann doch Anklage gegen die beiden Ärzte. Die postoperative Überwachung des Patienten habe nicht den medizinischen Standards entsprochen, begründet die Vorsitzende das Urteil.

Zum einen seien die Arzthelferinnen, die sich nach den Eingriffen um die Patienten hätten kümmern sollen, dafür nicht speziell geschult gewesen. Zum anderen sei es geboten, die frisch Operierten an ein sogenanntes Pulsoximeter anzuschließen, das die Sauerstoffsättigung des Blutes überwacht. Dies sei in der Praxis, in der der kleine Faouzane lag, nicht geschehen. Darüber hinaus hätten beide Angeklagten gewusst, dass nicht dauerhaft medizinisches Personal im Aufwachraum war, das die Patienten hätte überwachen können.

Narkoseärztin wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

Es war gegen 8 Uhr an jenem 14. März 2007, als Faouzane operiert wurde. Hinterher, im Aufwachraum, erlitt der Neunjährige eine kleinere Blutung, durch die die Atemwege verlegt wurden. Die Folge: Es kam zum Atemstillstand, der aber erst deutlich zu spät bemerkt wurde. Als der Junge in ein Fachkrankenhaus eingeliefert wurde, war schon eine schwere Hirnschädigung ersichtlich. Eine Woche später wurde als Kind für tot erklärt.

Wäre der Junge im Aufwachraum fachkundig überwacht worden, so die Vorsitzende Richter, überdies an ein Pulsoximeter angeschlossen gewesen, so „wäre dieser Atemstillstand umgehend aufgefallen“. Und der Schüler hätte „ohne bleibende Schäden überlebt“.

Geldstrafen der Ärzte gelten bereits als vollstreckt

In der Anklage war dem Operateur Hartmut D. eine Mitverantwortung an dem Tod des Kindes vorgeworfen worden. Neben dem heute 65-Jährigen hatte sich laut Ermittlungen auch ein zweiter Mediziner mitschuldig gemacht. Diesem Kollegen von Hartmut D. hatte die Staatsanwaltschaft vorgeworfen, die Praxis gemeinsam mit dem Operateur unzureichend für derartige Eingriffe ausgestattet zu haben.

Die Geldstrafen, die das Gericht jetzt gegen die beiden Angeklagten verhängt hat, gelten bereits als vollstreckt, weil es in dem Verfahren zu einer sogenannten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von rund 100 Monaten gekommen sei, erläutert die Vorsitzende Richterin. Das heißt: Die Ärzte müssten die Geldstrafe nicht mehr zahlen. Auch sind die Urteile noch nicht rechtskräftig. Beide Angeklagte hatten die Vorwürfe bestritten, ihre Verteidiger auf Freispruch plädiert.

Zum Abschluss des gut 13 Monate dauernden Prozesses hatten die beiden Angeklagten jeweils selber noch das Wort ergriffen. „Ich halte den Vorwurf gegen mich für unberechtigt und ungerecht“, meinte der Angeklagte Hartmut D. Sein Kollege sagte, dass ein Kind ums Leben gekommen ist, sei „das Schlimmste“, was geschehen könne. Der Mediziner sprach von einem „tragischen Ereignis“ – und einer „Hypothek“, mit der man „leben müsse“.