Hamburg. HPV-Infektion ist häufig Auslöser bestimmter Krebsarten. Doch nur wenige sind geimpft. Ärzte appellieren besonders an Eltern von Jungen.

Und dann guckt sie doch hin. Auf den Bildschirm vor ihr, der eine Großaufnahme ihres Gebärmutterhalses zeigt. Nancy sitzt auf einem gynäkologischem Untersuchungsstuhl und atmet schwer. Bei der Vorsorgeuntersuchung bei ihrem Frauenarzt hat die 40-Jährige erfahren, dass sie seit mindestens einem Jahr ein Virus in sich trägt, das Krebs am Gebärmutterhals verursachen kann. Deshalb wurde sie hierher verwiesen, in die Frauenklinik an der Elbe in der Hamburger Altstadt.

Die Klinik ist ein Glasbau schräg gegenüber der Deichtorhallen, Aufgang West, dritter Stock. An der Tür von Nancys Untersuchungsraum steht: „Dysplasie“. Das bedeutet so viel wie Zellveränderungen am Gebärmutterhals. Ob und in welchem Umfang Nancy solche Zellveränderungen hat, soll heute herausgefunden werden. Denn klar ist: Gebärmutterhalskrebs wird zu nahezu 100 Prozent von den Viren ausgelöst, die bei Nancy nachgewiesen wurden.

HPV: Erschreckend niedrige Quote bei Impfung gegen Krebs

Die Rede ist von Humanen Papillomviren, kurz HPV. Rund 150 Typen gibt es von ihnen. Und sie sind viel weiter verbreitet als viele denken. Schätzungsweise 80 bis 90 Prozent aller Menschen infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit HP-Viren – überwiegend durch Geschlechtsverkehr.

Davon spüren sie nichts – und in den meisten Fällen bekämpft der Körper das Virus innerhalb weniger Monate erfolgreich. Doch schon Krankheiten oder Stress können dazu führen, dass das Immunsystem nicht mehr ausreichend dagegenhalten kann. Verbleibt das Virus dann im Körper, kann es gefährlich werden.

HPV: Impfung für Mädchen und Jungen ab neun Jahren empfohlen

Dr. Oliver Brummer, seit 2015 an der Frauenklinik tätig, beschäftigt sich jeden Tag mit den Folgen solcher HPV-Infektionen. Er erklärt: „Was kaum einer weiß, ist, dass Gebärmutterhalskrebs im Grunde eine Infektionskrankheit ist. Und seit 2007 ist diese zu großen Teilen verhinderbar, denn seitdem ist ein Impfstoff in Deutschland zugelassen, der vor der Infektion mit den wichtigsten HP-Viren schützt – auch vor vielen der sogenannten High-Risk-Gruppe, die gefährlich sind.“

Die Möglichkeit, sich mit einer Impfung gegen Krebs zu schützen, bezeichnet Brummer als eine „medizinische Sensation“. Doch diese echte Sensation gibt es bislang vor allem auf dem Papier. Denn obwohl die Krankenkassen die Impfung bezahlen und die Ständige Impfkommission (Stiko) die Impfung für Mädchen und Jungen ab neun Jahren empfiehlt, dümpelt die Impfquote deutlich unter den Corona-Impfquoten.

HPV-Impfung: Nur die Hälfte der Mädchen ist geschützt

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts waren 2020 gerade mal die Hälfte (54 Prozent) der 18-jährigen Mädchen vollständig geschützt, bei den Jungen waren es sogar nur 8,1 Prozent. „Das ist wirklich bitter“, sagt Oliver Brummer. „Denn die Impfung entfaltet ihren größten Schutz, wenn sie vor dem ersten Geschlechtsverkehr stattfindet. Die Quoten sind derzeit deutlich zu niedrig.“

Auch deshalb sei gerade jetzt Aufklärungsarbeit von allen Seiten gefragt. Denn klar sei: „Wer die Impfung frühzeitig bekommt, der wird sehr wahrscheinlich nicht erkranken. Das gilt insbesondere für Gebärmutterhalskrebs. Aber auch die Entstehung andere Krebsarten wie Mundhöhlen-, Anal- und Peniskrebs stehen in enger Verbindung zu HPV. Ebenso die häufig vorkommenden Genitalwarzen, die Frauen und Männer gleich häufig betreffen.“

Bis eine Infektion zu Krebs führen kann, vergehen in der Regel Jahre. Niedergelassene Frauenärzte kontrollieren daher regelmäßig per Abstrich, ob Zellveränderungen vorliegen. Bei Frauen ab 35 wird zusätzlich alle drei Jahre ein HPV-Test durchgeführt.

Gebärmutterhalskrebs: Vorstufen können meist gut behandelt werden

Bei auffälligen Ergebnissen werden sie dann in sogenannte Dysplasie-Sprechstunden überwiesen, die Ärzte mit spezialisierter Zusatzausbildung anbieten. So auch Dr. Oliver Brummer. Mit dem sogenannten Kolposkop, einer Art Mikroskop für gynäkologische Untersuchungen, kann er bereits kleinste Veränderungen an den Schleimhäuten erkennen.

Während der Untersuchung bei Nancy erklärt er ruhig, was er tut und was er erkennen kann. Dann hält er inne: „Sehen Sie das da? Diese weißen Stellen“, fragt Brummer. Nancy nickt. Mit den Augen scheint sie zu sprechen bitte nicht. In der nächsten Sekunde sagt Brummer: „Das ist tatsächlich eine Krebsvorstufe.“

Der Frauenarzt Dr. Oliver Brummer arbeitet in der Dyplasie-Sprechstunde mit einem Kolposkop – eine Art Mikroskop für gynäkologische Untersuchungen. Damit kann er kleinste Zellveränderungen schnell erkennen.
Der Frauenarzt Dr. Oliver Brummer arbeitet in der Dyplasie-Sprechstunde mit einem Kolposkop – eine Art Mikroskop für gynäkologische Untersuchungen. Damit kann er kleinste Zellveränderungen schnell erkennen. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Hamburger Frauenarzt: Nach der OP noch impfen lassen

In den etwa 20 Minuten, die nun folgen, erfährt Nancy, dass in einer Operation unter Vollnarkose Teile des Gebärmutterhalses entfernt werden müssen – in der Fachsprache heißt das Konisation. „So wenig wie möglich und so viel wie nötig“, sagt Brummer. „Bei Frauen, die noch im gebärfähigen Alter sind, müssen wir besonders behutsam sein, damit es bei eventuell folgenden Schwangerschaften nicht zu Komplikationen wie Frühgeburtlichkeit kommt.“ Das Thema beschäftigt Nancy. Sie hat vor elf Monaten ihr erstes Kind, einen kleinen Sohn, auf die Welt gebracht. Ob sie ein zweites Kind haben möchte, weiß sie noch nicht.

Die 40-Jährige wirkt beunruhigt, bleibt aber gefasst. Oliver Brummer schafft es, dass die Stimmung trotz der Ernsthaftigkeit des Themas nicht zu düster wird. Wenn er mit seinen Patientinnen spricht, dann rückt er mit seinem Stuhl nah an sie heran, spricht ruhig und gleichzeitig eindringlich. „Ich möchte Ihnen den dringenden Rat geben, sich nach der Operation noch impfen zu lassen“, sagt er. Nancy wirkt überrascht.

Impfung lohnt sich auch für Erwachsene noch

Sie ist ja schließlich schon etwas älter und der HPV-Test ist positiv. „Ist das nicht zu spät?“ Brummer schüttelt den Kopf: „Auf keinen Fall. Die Impfung schützt zwar nicht vor der bestehenden Infektion, aber vor Neuinfektionen mit anderen HP-Viren und senkt gleichzeitig das Risiko, dass das bestehende Virus nochmals Schaden anrichtet.“ Nancy nickt. Für die Kosten müsse sie aber selbst aufkommen.

„Die meisten Krankenkassen zahlen nur bis zum Alter von 17, einige bis maximal 27 Jahren. Aber es lohnt sich dennoch“, sagt Brummer. „Klar ist, wären Sie schon geimpft, dann säßen Sie heute nicht hier. Aber 2007, als die Impfung eingeführt wurde, waren Sie schon über 17 Jahre alt und wurden deshalb natürlich nicht geimpft.“

Vor allem bei den Jungen ist die Impfquote sehr niedrig

Das Thema mit den schlechten Impfquoten beschäftigt Brummer seit Jahren. An durchschnittlich vier Tagen die Woche bieten er oder seine Kollegen eine Dysplasie-Sprechstunde an, an anderen Tagen wird operiert. Die Schäden, die HP-Viren verursachen, sieht er täglich. „Unsere Patientinnen kommen zum Teil mit fortgeschrittenen Vorstufen, manchmal auch schon mit Krebs. Bei wieder anderen hat das Virus zu unangenehmen Genitalwarzen geführt, die oft hartnäckig bleiben.“

Viele Patientinnen sind in einem Alter, in dem sie in jungen Jahren nicht von der Impfung profitieren konnten. Einige hören in der Sprechstunde zum ersten Mal von der Schutzmöglichkeit. „Dass wir einige Krebsarten nahezu komplett verhindern können und diese Möglichkeit nicht nutzen, ist etwas, das mich umtreibt. Insbesondere bei den Jungen ist die Impfquote viel zu niedrig.“

Jungs-Eltern wissen oft nicht, dass sie das Thema HPV betrifft

Das bestätigt auch Charlotte Schulz, Kinderärztin in der Gemeinschaftspraxis an der Hoheluftchaussee in Hoheluft-Ost und Sprecherin des Berufsverbandes der Kinderärzte in Hamburg. „An unserem Standort, an dem die Familien hauptsächlich aus Eimsbüttel und Eppendorf kommen, wissen viele Eltern schon gut über die HPV-Impfung Bescheid und sprechen uns auch darauf an.“ Repräsentativ sei das aber nicht.

„Die Impfquoten sind längst nicht so gut, wie sie sein müssten“, so Schulz. „Insbesondere Jungs-Eltern wissen oft nicht, dass sie das Thema auch betrifft.“ Dabei würden auch Jungen und Männer profitieren. „Zum einen schützen sie ihre zukünftigen Partnerinnen vor einer Infektion, zum anderen gibt es auch Krebserkrankungen bei Männern, die durch HP-Viren verursacht werden.“

Die Schwierigkeit bestünde oft darin, die Jungen – beziehungsweise ihre Eltern – in den entscheidenden Jahren zu erreichen. „Die Mädchen gehen meistens noch im Teenageralter erstmals zur Frauenärztin oder zum Frauenarzt und werden dort, sofern noch nicht geschehen, über die HPV-Impfung informiert und geimpft. Junge Männer werden längst nicht so engmaschig betreut“, so Schulz.

Hamburger Ärzte werben für Jugendvorsorgeuntersuchung ab dem 12. Lebensjahr

„Nach den standardmäßigen Untersuchungsterminen U1 bis U9 bis zum fünften Lebensjahr, kommen die Jungs oft nur noch zum Kinderarzt, wenn sie akut erkrankt sind.“ Ohne konkreten Anlass würden viele Jungen oft jahrelang nicht zum Arzt gehen. „Daher möchten wir explizit noch mal für die Jugendvorsorgeuntersuchung J1 ab dem 12. Lebensjahr werben, bei der dann spätestens die HPV-Impfung angeboten wird“, so Schulz.

Fakt ist: Rund 1600 Frauen sterben jedes Jahr in Deutschland an Gebärmutterhalskrebs, etwa 9300 Männer und 3700 Frauen erkranken etwa pro Jahr an Tumoren im Mundhöhlen- und Rachenraum, dazu kommen jährlich Tausende Neuerkrankungen bei Anal- und Peniskrebs. Zudem werden in Deutschland pro Jahr etwa 140.000 Konisationen bei überwiegend jungen Frauen – häufig noch im gebärfähigen Alter – durchgeführt.

Wäre das alles durch die Impfung zu verhindern? „Das zwar nicht“, sagt Oliver Brummer. „Aber der Gebärmutterhalskrebs und der Analkrebs könnten fast vollständig verhindert werden. Das Neuauftreten der anderen genannten Krebsarten könnte ebenfalls deutlich verringert werden, auch Genitalwarzen bei Jungs und Mädchen könnten zu 90 Prozent verringert werden.“ Was eine hohe Durchimpfungsquote bewirken kann, zeige sich etwa in Australien. „Dort sind im Schnitt 80 Prozent der Menschen gegen HP-Viren geimpft. Gebärmutterhalskrebs und Genitalwarzen sind in Down Under sehr selten geworden.“

HPV-Impfung: Erwachsene müssen die Kosten selber tragen

Während Brummer das erklärt, hat er bereits die nächste Akte auf dem Tisch liegen. Die Patientin, die gleich kommt, ist 27 Jahre alt und hat einen noch ausgeprägteren Befund als Nancy. Bis zum späten Nachmittag wird er 18 Frauen behandelt haben. Mit vielen wird er über die Impfung sprechen.

Nancy hat unterdessen ihre Unterlagen für die OP bekommen und sich erstmal einen Platz gesucht, um sich zu setzen und um das alles sacken zu lassen. Was sie ärgert: „Mich hat nie jemand darüber aufgeklärt, dass ich mich impfen lassen kann. Und dann steht man plötzlich da mit dem Satz im Ohr, dass es Krebs sein könnte. Das macht Angst.“

Nach der Sprechstunde bei Oliver Brummer weiß sie, dass sie rechtzeitig gekommen ist. „Sie werden daran nicht sterben“, hat er gesagt. „Vorstufen sind gut behandelbar.“ Inzwischen hat sie recherchiert. Die Impfung kostet für die drei nötigen Chargen je 155 Euro. „Das ist richtig viel“, findet sie. „Vielleicht zahlt meine Versicherung ja doch“, hofft sie. „Aber so oder so mache ich es. Besser kann ich mein Geld nicht investieren.“ Und kurz bevor sie aufsteht und geht, sagt sie: „Mein Sohn ist noch ein Baby. Aber bis er neun wird, werde ich das nicht vergessen haben und natürlich auch ihn impfen lassen.“

HPV-Infektion und Impfung:

HPV steht für Humanes Papillom-Virus. Es gibt zwei Gruppen: Hochrisiko- und Niedrigrisiko-Typen. Eine anhaltende Infektion mit Hochrisiko-Typen kann zu verschiedenen Krebsarten, etwa Gebärmutterhalskrebs, Scheidenkrebs, Analkrebs, Peniskrebs sowie Zungen-/Rachen-/Halskrebs führen. Die Niedrigrisiko-HPV-Typen können Genitalwarzen auslösen.

Die Impfung schützt gegen eine Vielzahl von HP-Virustypen, so dass es nach Sexualkontakt mit einer oder einem HPV-infizierten Partner oder Partnerin nicht zu einer Infektion mit den entsprechenden Viren kommen kann. Damit ist das Risiko einer späteren Krebserkrankung erheblich verringert.

Die Sicherheit der HPV-Impfstoffe in Bezug auf Nebenwirkungen, Komplikationen und Impfschäden werden seit der Einführung dieser Impfung weltweit überprüft. Sie gelten als sehr sicher. Die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen erstatten die HPV-Impfung bis zum 17. Geburtstag. Einige auch noch ein paar Jahre länger. Menschen, die sich im Erwachsenenalter impfen lassen möchten, müssen die Kosten selber tragen. Sie liegen derzeit bei 465 Euro.

Frauenklinik an der Elbe:

Die Frauenklinik an der Elbe ist ein ambulantes OP-Zentrum, das gynäkologische Erkrankungen aller Art behandelt. Das Spektrum reicht von Gebärmutterspiegelungen bei Myomen, Polypen und Verwachsungen (Asherman-Syndrom) über Konisationen und alle Formen der Laserchirurgie bis hin zu Bauchspiegelungen bei Endometriose, Zysten, Kinderwunsch, Myomen oder Tumoren sowie Inkontinenzoperationen und Gebärmutterentfernungen.

Wenn ein stationärer Aufenthalt nötig ist, wird durch die Ärzte der Frauenklinik in Partnerkliniken operiert. Es gibt Spezialsprechstunden für Endometriose, Inkontinenz und Dysplasie. Weiter Infos unter: www.frauenklinik-elbe.de